Rebecca Trescher Tentett beim Tübinger Musikfest in der Westspitze 2023

Rebecca Trescher – Klarinette, Bassklarinette, Komposition, Arrangement, Konzept
Julian Hesse – Trompete, Flügelhorn
Joachim Lenhardt – Tenorsaxophon, Bassklarinette, Flöte
Markus Harm – Altsaxophon, Sopransaxophon, Klarinette
Anton Mangold – Konzertharfe, Altsaxophon, Klarinette
Eugen Bazijan – Cello
Andreas Feith – Klavier
Roland Neffe – Vibraphon
Christian Diener – Kontrabass
Silvio Morger – Schlagzeug

Tübingen, 6.10.2023

Rebecca Trescher Tentett verzaubert beim „KOMPONISTINNEN-Fest“ ihrer Heimatstadt mit grenzüberschreitender Klangreise

Als Late Night „Sonderkonzert Jazz“ war das Rebecca Trescher Tentet im Programm des Tübinger Musikfests „KOMPONISTINNEN“ am 6. Oktober 2023 angekündigt. Erstmals von der Stadt Tübingen, der Kirchenmusikhochschule und dem Kantorat der Stiftskirche veranstaltet, beleuchtete das Komponistinnen-Musikfest das Leben und Schaffen von vier Komponistinnen der Romantik, an erster Stelle das der Tübingerin Liedkomponistin Josephine Lang (1815-1880). Geboten war ein hochkarätiges Musikfest, das in der Bürgerschaft mit großem Interesse aufgenommen wurde und voll ins Schwarze traf: Denn seit Jahren wächst die Aufmerksamkeit für die Werke, die Künstlerinnen vergangener Zeiten unter oftmals widrigen Umständen geschaffen haben. Ein interesanter Blick zurück voller Entdeckungen.

Erfreulicherweise wurde zumindest ein kleiner Festival-Bogen auch zum Schaffen heutiger Komponistinnen geschlagen. Mit der Einladung der freischaffenden Komponistin, Jazzklarinettistin und Bandleaderin Rebecca Trescher zum Komponistinnen-Festival würdigte die Stadt eine Künstlerin, die sich mit ihrer über 10-jährigen Kompositionsarbeit – zunächst für ihr Ensemble 11 (vor Jahren im Sparkassen-Carré zu hören), das sie zu ihrem aktuellen Tentett weiterentwickelte, und mit etlichen Auftragskompositionen für große Orchester – bereits national und international einen Namen gemacht hat.

Das Jahr 2022 war dabei ein besonders erfolgreiches Jahr für die junge Komponistin:
Ihr „Paris Zyklus“ wurde mit dem Deutschen Jazzpreis für die „Komposition des Jahres“ ausgezeichnet. Auch ihr Ensemble wurde geehrt: Das Rebecca Trescher Tentett erhielt als beste Band den Neuen Deutschen Jazzpreis der IG Jazz Mannheim. Und im Critics Polls des US-amerikanischen Jazzmagazins Downbeat wurde die hervorragende Klarinettistin Trescher 2022 zum „Rising Star: Clarinet“ gewählt, in feiner Rising-Star-Gesellschaft etwa von Emmet Cohen/Piano oder Melissa Aldana/Jazz Artist.

Grenzen zwischen Jazz und zeitgenössischer Kammermusik aufheben

Wer also hätte besser zeigen können, wohin die Reise mit Komponistinnen der heutigen Zeit gehen kann als Rebecca Trescher, die die Grenzen zwischen Jazz und zeitgenössischer Kammermusik aufhebt und in eigener künstlerischer Handschrift Werke schafft, in denen Elemente beider Musikrichtungen kunstvoll ineinandergreifen?

Sichtlich erfreut bedankte sich die gebürtige Tübingerin Rebecca Trescher zum Beginn bei der Stadt für die Einladung, erläuterte einige Wegmarken des Konzertprogramms und wünschte eine „schöne Reise“. Mitgebracht hatte sie einige ihrer „Character Pieces“ – Kompositionen, die auf Skizzen ihrer Musiker basieren, die sie für ihr Tentett ausgearbeitet und arrangiert hat – sowie drei Teile des viersätzigen „Paris Zyklus“, den sie während eines sechsmonatigen Künstlerstipendiums an der Cité Internationale des Arts de Paris 2019/2020 komponierte, sowie noch ein älteres Stück mit dem schönen Titel „Verborgen im Wald“.

Nach dem ersten Charakter Piece „Le Moutardier“ nach einer Skizze ihres Kontrabassisten Christian Diener stellt sich Rebecca Trescher mit dem Character Piece „Wildwasser“, einer Skizze von Joachim Lenhardt, im Solo-Intro als kraftvoll beseelte und virtuose Bassklarinettistin vor, die wechselnd ihre eigene Bassgrundierung und Melodieimprovisationen spielt. Hinzukommen dann rythmisch treibend der Flügel (Andreas Feith) und das Cello (Eugen Bazijan). Dazu flatternde Blassklarinette, bis das warme Altsaxophon (Markus Harm) das Thema vorträgt und Joachim Lenhardt am Tenorsaxophon zur Improvisation ansetzt, gebettet auf den ganzen Bandsound: an den Drums Silvio Morger, am Bass Christian Diener, an der Flöte Multiinstrumentalist Anton Mangold, der sonst auch Harfe und Altsaxophon spielt, am Vibraphon steuert Roland Neffe sensible Begleitung bei. Dann wieder umschlossen von der Melodie des Altsaxofons und einem treibenden, sich steigernden Tutti bis zum finalen Höhepunkt im Fortissimo.

Die Vielfalt der musikalischen Ideen

Mit „Nacht“ folgt ein betörendes, kunstvoll arrangiertes Character Piece basierend auf einer Skizze von Roland Neffe: Ein zart mit Harfe und Vibraphon beginnendes Nachtstück, dem sich drei Klarinetten zugesellen, gefolgt vom Cello – umfasst von einem hervortretenden Vibraphon –, wechselnden Bläsertutti, dann ein virtuoses Trompetensolo des wunderbaren Julian Hesse. Es folgt eine Vielzahl perkussiver rhythmischer und melodischer Einsprengsel wie Bruchstücke von Träumen, die kaum geträumt, schon verklungen sind. Die Vielfalt der musikalischen Ideen, die hier so kunstvoll und der Dramaturgie des Stückes dienend eingestreut sind, lässt sich nur selbst lauschend erfassen.

Am „Gare de l’Est“, erster Teil des Paris Zyklus, kam nicht nur die Komponistin in Paris an, nein, auch wir werden vorsichtig einfahrend jazzig beswingt hineingeworfen in das Getümmel des wuseligen Pariser Ostbahnhofs. Markus Harm, auch ein wohlbekannter Tübinger, inzwischen Professor für Jazzsaxophon in Wien, brilliert am Altsaxophon mit seinem gefühlvollen, warmen Ton. Tuttipassagen, dann werden wir mit einem Bass-Solo (Christian Diener) beruhigt, wir hören das Pfeifen des Fahrtwindes, Rebecca Trescher lässt ein Klarinetten-Solo erklingen. Das Tempo zieht an. Ein kraftvolles Solo am Flügel, gefolgt von zwei Flöten auf dem sicheren Schienen des Bandsounds.

Beim Character Piece „High Altitude“ schnuppern wir frische Bergluft, um gleich danach die aussichtsreiche Dachterrasse des Pariser Kaufhauses „Lafayette“, dritter Teil des Paris Zyklus, zu erklimmen. Hier begeistert zu Beginn Eugen Bazijan mit ausgelassenem Spiel am Cello (hervorragend Juri Kanwasser vertretend): zupfend, streichend, klopfend werden uns hier ganz neue Saiten des Cellos vorgestellt. Sich steigerndes Bläser-Unisono wird zur Entspannung aufgelöst im eloquenten Spiel Julian Hesses am Flügelhorn. Dann spielt sich Andreas Feith am Piano in Rage, ihm folgt Silvio Morger mit einem nach vorn drängenden Schlagzeug-Solo bis zum gemeinsamen Finale.

Zum Finale der zweite Teil des Paris Zyklus

Mit starkem kammermusikalischem Akzent nimmt uns die Komposition „Verborgen im Wald“ mit gestrichenem Bass und Cello in die Ruhe des Waldes. Harmonischer Zusammenhang von Bassklarinette, Klarinetten und Cello in repetitivem Muster versetzt das Publikum in eine noch aufmerksamere Stimmung.

Für ein spannendes Finale sorgt schließlich „Marais“, der zweite Teil des Paris Zyklus. Wie die Komponistin berichtet, wohnte sie während ihres Stipendiums direkt neben Notre-Dame, mitten im Marais, deshalb widmete sie dieses Stück dem berühmten Pariser Stadtviertel. Behutsam werden auch hier wieder sukzessive die Klangfarben der einzelnen Instrumente über- und ineinandergeschichtet, es wird Raum gegeben für Improvisation, hier für Anton Mangold am Altsaxophon und Roland Neffe am Vibraphon. Sie lassen das vorgelegte Tonmaterial durch ihren individuellen Ausdruck neu sprechen, bruchlos abgelöst von übernehmenden Instrumenten und orchestralem Tutti.

Mit der Zugabe „Aussichtsreich“ und einem wunderbaren Saxophon-Solo von Markus Harm verabschiedete sich das Rebecca Trescher Tentett. Mit ungewöhnlicher Instrumentierung, überraschenden Arrangements und sensiblem Zusammenspiel überzeugte das Rebecca Trescher das Publikum in der Tübinger Westspitze. Es bedankte sich für die bezaubernde Klangreise mit anhaltendem Applaus.

Claudia Rodi

Portraits von Rebecca Trescher

Portraits von Julian Hesse

Portraits von Markus Harm

Portraits von Andreas Feith

Portraits von Silvio Morger