Nils Wogram: Root 70 im Pappelgarten Reutlingen 2023

Nils Wogram (p)
Hayden Chrisholm (as)
Matt Penman (b)
Jochen Rückert (dr)

Reutlingen, 5.12.2023

Filigraner Swing und zeitlos schön

Nils Wogram’s Root 70 gibt ein Heimspiel im Pappelgarten

Der Pappelgarten im Reutlinger Norden, liegt recht abseits in der Nähe der Stadtteile Orschel – Hagen und Rommelsbach und irgendwo zwischen der Ausfallstraße Richtung Stuttgart und dem Friedhof Römerschanze. Der Pappelgarten ist ein Kult Ort. Für Musikfreund*innen aus der Region und für Jazzmusiker*innen – wenn man’s ganz groß will – aus aller Welt. Biedere Tischtücher, ein Adventskranz neben der Bühne, Nils Wogram räkelt sich auf einer Art Diwan neben der Theke, vorkonzertliches Relaxen bei Kaffee oder Tee. Soll heißen: Hier scheinen sich auch recht namhafte Jazzmusiker*innen wohl zu fühlen.

Zehn Minuten später: die Adventskranzkerze flackert lebendig, als die beiden Bläser mit einem Tief – Ton – Thema das Konzert eröffnen. Voll, rund und kraftvoll der Sound, zunächst verhalten das Tempo, dann legt das Quartett ab.  Mal klingen Nils Wolgram an der Posaune und der Neuseeländer Hayden Chrisholm am Altsaxofon wie eine ausgewachsene Bläsersektion einer Bigband, im nächsten Augenblick weben sie ein feines Flechtwerk an Melodien, Variationen und Improvisationen.

Wärmende Wintermusik

Das Quartett Root 70 besteht seit 23 Jahren und ist so eine Art homeband des Braunschweiger und mindestens europaweit gefeierten Posaunisten Wogram, der bei diesem Konzert in Reutlingen vor allem Stücke aus der eben erschienen CD des Ensembles präsentiert. The ‘Pristine Sound of Root 70’ heißt es, verspricht also was Edles, eben Makelloses. Der Verzicht auf das Piano oder ein anderes Harmonieinstrument legt die Strukturen der Musik offen dar und macht sie jederzeit und unmittelbar sicht- bzw. hörbar. In ‘Kairos’ swingt und groovt das Quartett, immer mal wieder greift Wogram zur Melodica oder er kreiert wunderbar verzogen – verzerrte Posaunensound mit dem Dämpfer. Natürlich kann man sich an Albert Mangelsdorff erinnert fühlen, aber Root 70 hat eben seinen ureigenen Klang. Aus dem Zusammenspiel der beiden Bläser erwachsen ständig neue Figuren und Melodien. Ein runder, melodischer Bass gespielt von Matt Penman, dem zweiten Neuseeländer in der Band und Jochen Rückert legen dabei die Basis. Aber sie sind auch immer wieder bereit für eigene Soloausflüge, unter den dann die Bläser einen wunderschön tönenden Klangteppich legen.

Filigraner Swing, wärmende Wintermusik – Nils Wogram lässt mit seiner Band die kalte Jahreszeit sich auf äußerst erträgliche Weise im Pappelgarten niederlassen. Dazu erzählt er vom Snowboardfahren im französischen Jura und die Stücke heißen ‘Va Lentement‘ und ‚Perfect Snow‘. Es entstehen Klangflächen und mäandernde Soundgebilde, die sich durch den Pappelgarten und den Abend schieben und jede Menge Kino im Kopf erzeugen.

The Utopian und die Espressomaschine

Fleeting Modernity’ bringt uns leichtfüßig und flott von drums & bass geleitet, wieder zurück ins Jetzt. Keine düstere Verheißung das Ganze, eher ein augenzwinkerndes Spiel zwischen den Polen Jazz – Tradition, Moderne und – ja eben den ganz eigenen, neuen Ideen, Sounds & Kompositionen dieser wunderbar aufeinander eingespielten Musiker.

Offenheit, Vertrautheit, Family – es ist so eine Art Magie, die sich an diesem Abend im Pappelgarten ausbreitet. Das liegt natürlich an Nils Wograms wunderbarer Musik, aber auch an Tobias Festl, Wirt, Seele des Pappelgarten, Basshändler, selbst Musiker, unermüdlicher Ideenproduzent und Ermöglicher. ‘The Utopian’ heißt ein Stück ziemlich zum Schluss, das sich zunächst gemütlich, melodisch durch die Zeit schaukelt bevor es dann Fahrt aufnimmt. Wogram widmet es in seiner Ansage ‘solchen Menschen, die es hinbekommen, in diesen Zeiten einen Jazzclub zu schaffen…’.  Kann sein, dass er damit den Pappelgarten und den mitveranstaltenden Kulturverein ‘TheMu’ meint, diesen Ort eben, an dem die Band schon …ja, sie wissen’s  gar nicht mehr genau, wie oft…aber immer gern zu Gast war. Und wo in diesem Jahr ein neues Gretsch drumset auf der Bühne steht. Und wo es passieren kann, dass die Espressomaschine in das leise, sensibel gespielte Intro zischt…und das dann einfach dazugehört zum Gesamtkunstwerk.

Tom Hagenauer

Portraits von Nils Wogram

Portraits von Hayden Crisholm

Portraits von Matt Penman

Portraits von Jochen Rückert