Sebastian Studnitzky und Andrii Pokaz im C.Bechstein – Centrum Tübingen

Sebastian Studnitzky (tp)
Andrii Pokaz (p)

Tübingen, 15.12.2023

Eine Reise in imaginäre Landschaften

Wieder mal ist es dem Tübinger Jazzclub gelungen, Musik mit außergewöhnlicher Tiefenwirkung auf die Bühne zu bringen.  Der Auftritt dieses ukrainisch – deutschen Duos ist ein Konzert, in dem mehr als “nur“ Musik erklingt. „Vor ein paar Tagen ist Andrii aus Kiew hier angekommen“, erzählt Sebastian Studnitzky, und sofort beginnen Bilder zu entstehen, zu den Fragen, die jede*n umtreiben. Zum Beispiel: Wie geht das, in Kriegszeiten Musik zu machen, in Kiew, und dann auch noch solch eine zarte, einfühlsame Musik wie die, mit der der aus Odessa stammende Andrii Pokaz, dieses Konzert im Tübinger Beschstein Centrum beginnt. Alleine zunächst. Da sind zuerst ganz sachte Tontupfer, mit viel Klangraum, dann beginnt sich die Musik zu strukturieren, fließende aufgelöste Akkorde, die linke Hand schafft einen ruhigen, dennoch bewegten Klangfluss, irgendwann setzt die Trompete ein. Keine scharf geblasenen, eher gehauchte Töne beginnen sich im Raum zu verteilen. Sebastian Studnitzky spielt langgezogene Melodiebögen, wie Atem ist die Luft zu hören, die die Töne erzeugt, über die Lippen, das Mundstück, die Windungen des matt – metallenen Instruments in die Welt schickt.

Musik jenseits von Kategorien

Wir treffen uns immer in der Musik“, sagt Studnitzky irgendwann mal, in einer der wenigen Ansagen. Meistens spricht oder erzählt die Musik. Variiert die Motive und Themen, steigert sich, erklimmt in den Improvisationen wechselweise auf Trompete und Flügel immer größere Höhen und tiefere Intensitäten.  „Das, was wir hier fabrizieren, ist nur in Ansätzen das, was wir ausgemacht haben…“ lacht Sebasitian Studnitzky in einer Atempause zwischen zwei Stücken. Seit eineinhalb Jahren spielen die Beiden zusammen, und wenn sie sich, wie es wirkt, fast intuitiv durch Kompositionen, freies Spiel, Genres, unterschiedlichste Musiktraditionen bewegen, strahlt ihr Auftritt große und tiefe Vertrautheit aus; mit dem jeweils anderen und mit der – gemeinsamen – Musik. Ukrainische Melodien, der Klang der portugiesischen Stadt Mertola, Eruptionen, großes Drama, Theatralik, ein Pianosolo, das sich in irrwitziges Tempo und Höhen schraubt. Dann wieder landen, ganz unten ankommen, bei fast gar nichts. Kurzes Atemholen, dann packt Andrii Pokaz wieder ein innerer Groove, und wir gehen in die nächste Runde. Die Trompete verlässt die gehauchte Zone, mischt sich mit Sebastian Studnitzkys Stimme, klassisch anmutende Passagen, Anklänge an minimal music, prepaired Piano, wir erleben eine Reise in imaginäre Landschaften und durch die ganz reale Welt und sind ganz schön bewegt.

Tom Hagenauer

Portraits von Sebastian Studnitzky

Portraits von Andrii Pokaz