jazztimeBB: kartmann kollektiv in der Stadtkirche Böblingen 2025
Sandra Hartmann – Gesang
Joachim Staudt – Saxophon
Clara Vetter – Fender Rhodes
Torsten Papenheim – Gitarre
Jonathan Sell – Kontrabass
Daniel Kartmann – Schlagzeug, Vibrafon, Zink
Hanno Braun aka Netzhaut – Lichtkunst
Böblingen, 4.4.2025
Kollektive Improvisation in sakralen Klangräumen
Die JazzTime ging mit einem speziellen Konzert in der Böblinger Stadtkirche neue Wege und lud das Kartmann Kollektiv zu einem besonderen Happening ein. Rund 150 Besucher wollten sich das nicht entgehen lassen
Jazz in der Kirche? Im Grunde genommen nichts Neues. Doch warum wechselt die JazzTime Böblingen mit ihrer dritten Veranstaltung des Jahres von der Kongresshalle ausgerechnet in ein Gotteshaus? Die Antwort heißt: „Circle in the Round“. Das Stück von Miles Davis, einem der einflussreichsten Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts, sieht eine besondere Anordnung von Bandmitgliedern und Publikum vor. Nicht von einer Bühne herunter soll das Publikum beschallt werden, sondern es soll mitten drin am Geschehen teilhaben. So sind die sechs Musiker in der Mitte des Kirchenraums platziert und die Besucher scharen sich rund um sie. Das vermittelt ein besonderes Klangerlebnis.
Bandleader Daniel Kartmann (Schlagzeug, Vibraphon, Zink) muntert zu Beginn des Konzertes zudem auf, auch mal am Außenkreis entlang zu pilgern oder sich bis zu den Akteuren in die Mitte zu wagen, um die Klangeindrücke auf sich wirken zu lassen. Das Musik-Ensemble, bestehend aus ihm, Sandra Hartmann (Gesang), Joachim Staudt (Altsaxofon), Clara Vetter (Fender E-Piano), Torsten Papenheim (E Gitarre) und Jonathan Sell (Kontrabass) wird durch Hanno Braun (Lichtkunst) ergänzt, der während des Vortrags durch analoge Mittel, in diesem Fall eine Discokugel, das musikalische Geschehen illuminiert.
Daniel Kartmann und Joachim Staudt sind zwei ehemalige Schüler des Böblinger Albert-Einstein-Gymnasiums, die wie viele Schulabgänger dieser Bildungseinrichtung den Weg zum Profimusiker eingeschlagen haben. Zu den beiden Ex-Böblingern gesellen sich an diesem Abend noch die Baden-Württembergische Landesjazzpreisträgerin 2023 Clara Vetter, sowie die facettenreiche Sopranistin Sandra Hartmann, womit die solistische Besetzung Extra-Klasse verspricht.
Die Klang-Collagen dringen tief in die menschliche Gefühlswelt ein
Langsam baut sich die kollektive Improvisation auf: Ein gestrichener Kontrabass wird durch ebenfalls gestrichene Vibraphon-Klangplatten ergänzt, eine Stimme unterstreicht das weite sphärische Raumgefühl und eine meditative Om-Stimmung erfüllt das Kirchenschiff. Die Klänge verdichten sich, als auch noch ein butterweich gespieltes Saxofon den meditativen Charakter verstärkt. Schlagwerker Kartmann wechselt vorübergehend zum Zink, einem historischen Blechblasinstrument aus dem 17. Jahrhundert; zusammen mit Stimme und Saxofon entstehen Überlagerungen, die sich alsbald wieder auflösen. Überhaupt scheinen die Klänge zu atmen – Verdichtung und Freiräume.
Bisweilen steigert sich die Stimme zu Schreien, die tief unter die Haut gehen oder es ertönen vokale Melodieführungen in Frequenzen, die nahezu ein Glas zum Platzen bringen könnten. Die Klang-Collagen dringen tief in die menschliche Gefühlswelt ein. Mit geschlossenen Augen, und fast in ein anderes Universum gebeamt, intensivieren sich die Eindrücke noch. Gregorianische Stimmung und Mantras schaffen Gänsehautmomente und bei tiefem Eintauchen bisweilen gar Druck auf die Tränendrüsen. Ganz überraschend entstehen bisweilen Unisono-Passagen mit Stimme und Saxofon, die wie aus dem Nichts auftauchen, sogar in zweistimmigen Intervallen.
Eine Kollektivimprovisation
Das war so keineswegs geplant, wie im Anschluss im Gespräch mit dem Saxofonisten zu erfahren war. Joachim Staudt erklärt, dass es als Vorgabe lediglich eine Melodie über 13 Takte gab aus der die Kollektivimprovisation entstand. Die Frage ob es abgesprochene Signale gab, die eine Wendung oder Zweistimmigkeit einleiteten, beantwortet er mit: „Nein – man lässt sich’s entwickeln und es gibt wirklich keine arrangierten Teile“. Das spricht für die Qualität und überdurchschnittliche Qualität dieses Sextetts. Die Musiker folgen den Impulsen, die sie sich wechselseitig anbieten. Auch dass das Konzert nach ziemlich genau einer Stunde ein gemeinsames Ende findet, liegt an keiner Uhr, die das etwa vorgegeben hätte, sondern schlicht am Gespür der Bandkollegen für einander und letztlich an der musikalischen Klasse dieses Ensembles.
Bernd Epple
Portraits von Clara Vetter
Portraits von Joachim Staudt