Rezension der DVD-Dokumentation  „Inside Scofield“

Klaus Huckerts Jazz Ecke
Klaus Huckerts Jazz Ecke

Klaus Huckert über Jörg Steinecks Film „Inside Scofield“

Erscheinungsjahr der DVD: 2022
Regie/Kamera/Buch: Jörg Steineck
Musiker/Personen: Bill Stewart, Gerald Clayton, Vicente Archer, Pat Murray, Steve Swallow, Joe Lovano, Bill Frisell, Mike Stern, John Cleary, Phil Lesh, Gary Crainger, Bill Evans, Dave Holland, Dennis Chambers, Pat Metheny

Vorbemerkungen

John Scofield zählt mit Bill Frisell und Pat Metheny zu den bedeutendsten und einflussreichsten Jazzgitarristen seit Wes Montgomery. Er spielte u.a. mit Gary Mulligan, Chet Baker, Gary Burton, Miles Davis, Billy Cobham, George Duke, Charles Mingus, Herbie Hancock, Chick Corea, Joe Henderson, Joe Lovano usw. Der Regisseur Jörg Steineck ist ein freiberuflicher Filmemacher, Grafikdesigner und Illustrator aus Berlin.

Tour-Leben

Die gegenwärtige Band „Combo 66“ mit John Scofield (Gitarre), Bill Stewart (Drums), Gerald Clayton (Piano, Orgel), Vincente Archer (Kontrabass) sind auf ihrer Tour in Seattle im Club „Jazz Alley“ für vier Tage gebucht. Der einzige Tournee-Gig, der mehrere Tage im gleichen Club umfasst. Bedauern klingt im englischen Off-Kommentar von Scofield mit wie wenige Jazz-Lokale mit dieser zeitlichen Dimension   noch existieren.  Bei einer Konzertszene in diesem Veranstaltungsort  stellt der Band-Leader seine drei Mitstreiter mit warmen und herzlichen Worten dem Betrachter vor. Anerkennung zollt er seinen Mitmusiker, die menschlich und musikalisch genau zu ihm passen ohne ihre eigene Persönlichkeit zurückzunehmen. Kein Starkult, keine Überlegenheit gegenüber anderen Musikern sind in seinen Erläuterungen zu hören. Alle Mitglieder in der Band sind gleichberechtigt und gleich wichtig. Virtuosität und Talent seiner Mitmusiker lobt er ohne zu übertreiben.  Er selbst gibt in der Band nur Tempo und das Musikstück vor, keinerlei sonstigen Vorgaben sind zu erkennen.  Wichtig ist ihm, dass die Band als Einheit agiert und jedes Mitglied den anderen Bandmitgliedern beim Spiel zuhört.

Das Tour-Leben bringt normalerweise Stress und Hektik mit sich. Zeit zur Erholung  ergibt sich nur, wenn man mehrere Tage am gleichen Ort auftreten kann. Und was tut dann ein exzellenter Gitarrenkünstler wie so viele andere Gitarristen auch? Er besucht mit seinem Bassisten einen Gitarrenladen und hat diebische Freude daran, verschiedene Gitarren auszuprobieren. Scofield weiß um das fast erotische Vergnügen Musikinstrumente auszuprobieren. Dementsprechend spielt er im Film dann akustische Gitarren, eine Resonator-Gitarre (Dobro) auf der er Folk- und Country- Stücke probiert. Im Gegensatz dazu genügt ihm bei seinen Konzerten  eine einzelne Gitarre – eine Ibanez AS 200 aus dem Jahr 1986 -, die seine Gibson-Gitarre abgelöst hat, die bei einer Konzert-Tournee in Japan einen massiven Hals-Schaden erlitten hat.

John Scofield beim Jazzfestival Esslingen 2021
John Scofield beim Jazzfestival Esslingen 2021

John erzählt dann von seinem Team, das ihn – den „Road Dog“ – vor und während seiner Tourneen unterstützt. Seine Frau Susan kümmert sich um die geschäftlichen Dinge, sein Freund Pat Murray begleitet ihn auf der Tour als Fahrer, Logistiker, Road-Manager und Sound-Ingenieur.

Das Tour-Leben bietet Frustrationen, Routine und unerwartete Ereignisse. So spielen die Musiker mit Ausnahme von Scofield fast jeden Abend fremde Instrumente, die vom Veranstalter bereitgestellt werden müssen. Auch der Sound-Ingenieur hat jeden Abend mit den Tücken einer neuen Soundanlage zu kämpfen. Familienereignisse wie die Geburt einer Tochter von Bassisten Vicente Archer wird über Smartphone beim unterbrochenen Soundcheck miterlebt. Geburtstage werden in den Garderoben  der Veranstaltungslokationen gefeiert.

Etwa jedes halbe Jahr geht er auf Tournee. Ruhepunkt in seinem Leben bietet sein Wohnhaus in Katonah (Nähe New York). Im Nacken immer der Albtraum den Auftritt  zu verpassen.  Laut seinen eigenen Erzählungen spielt er in den Tournee-Pausen morgens in seinem Heim immer Gitarre. Dies gibt ihm Ruhe, Zufriedenheit und Kraft für den Tag. Kurz gesagt, eine Liebeserklärung an den Jazz.

Die Frühzeit/Gegenwart  von Scofield

Rückblende in die Jugend von John in den sechziger/siebziger Jahren. Konzerte von Gitarristen wie B.B. King in New York sind für ihn eine Offenbarung. Sein Herz gehörte ab diesem Zeitpunkt dann der Musik.   Der damalige Nachwuchsgitarrist sah New York als Zentrum des Jazz und siedelt 1975 dorthin um.  Mehrere Jazz-Größen wie Bassist Charles Mingus, Drummer Billy Cobham oder  Pianist George Duke werden auf ihn aufmerksam. Eine weitere Zeitebene – die Gegenwart- zeigt dann Scofield als Reiseführer durch das heutige New York. Er zeigt dem Zuschauer die legendären Jazzlokale Village Vanguard oder das Blue Note. Frühere Hotspots der Jazz-Szene mussten der Moderne Tribut zollen und wurden durch Büros und hippe Apartments ersetzt. Jörg Steinbeck fängt atemberaubende nächtliche Bilder von New York ein und mischt sie mit Fotografien von Jazz-Stars der siebziger/achtziger Jahre.

Eine Lieblings-Szene des Rezensenten wird dann präsentiert. Miles Davis wird bei einem Konzert auf ihn aufmerksam und möchte ihn bei einem Gig  in Cleveland als Sideman haben. John möchte Miles ein Kompliment machen und gibt sich als Fan von ihm zu erkennen, lobt Davis über den grünen Klee. Nonchalant gibt der Star zurück: „Ach komm, halt die Fresse“. Über fast dreieinhalb Jahre spielte dann der Gitarrist in den achtziger Jahren mit Miles Davis. Wunderbare Szenen aus einem Konzert der beiden genannten Musiker sind einmontiert.

Der Gitarrist erklärt in einem Gespräch wie dankbar er ist, dass er mit den Jazz-Giganten der 40-und 50er Jahre er spielen durfte, um von ihnen zu lernen und damit sich fortzuentwickeln.

John Scofield beim Jazzfestival Esslingen 2021
John Scofield beim Jazzfestival Esslingen 2021

Aus seiner Sicht eines alten Mannes – wie er sagt – lässt der Gitarrist den Zuschauer über seine Erkenntnisse bezüglich Jazz teilhaben. Für ihn – mit einem lachenden Gesicht  vorgetragen –  ist Jazz die Musik von alten Männern, Frauen sind in der Minderheit, obwohl gute Jazz-Musikerinnen nachwachsen. Atemberaubend dann eine Konzert-Szene, die beweist, dass der Gitarrist noch lange nicht am Ende ist. Er lässt seine Gitarre im Rock-Stil heulen, jammern und sprechen.  Allerdings glaubt er, dass die goldene Zeit des Jazz vorbei ist (Anmerkung des Rezensenten: Gab es im Jazz jemals eine wirklich goldene Zeit?).

Resümierend stellt John fest: Ich hatte das Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und habe an meine Musik geglaubt, wenn es auch hart war. Eine Liebeserklärung an den Jazz, die man der Hauptfigur und seinen vielen Mitmusikern im Film  aus 50 Jahren der Karriere gerne abnimmt.

Fazit:

Ein sehr guter Dokumentarfilm, kein klassisches Biopic. Unaufgeregt, authentisch, bescheiden, nachdenklich, innovativ,  selbstkritisch und  humorvoll, so lässt sich John Scofield als Person nach diesem Film beschreiben. Der Kunst von Jörg Steineck ist diese Meisterleistung mit zu verdanken. Wundervolle Kamera-Arbeit, Vielfalt der Einstellungen, animierte Einschübe als audiovisuelle Unterstützung, impressionistischen Überblendungen und Überlagerungen und Bildmontagen sind hervorragend in den Film integriert.  Statt Scofield zu interviewen, lässt Steineck den Gitarristen ohne Unterbrechung und Zwischenfragen selbst zu Wort kommen. Natürlich ist dieser Film eine Offenbarung für Gitarristen. Kein Star-Gehabe oder  verschwurbelten Ideen, kein „Per aspera ad astra“-Film, sondern ein Werk voller Emotionen, die den Menschen Scofield, seine Musik und sein näheres Umfeld zeigen. Einfach empfehlenswert!

Klaus Huckert

Weiterer Links zum Film:

Auf jazz-fun.de: Inside Scofield – Der Film als Liebeserklärung an den Jazz