Hely im C.Bechstein Centrum Tübingen 2022

Hely im C.Bechstein Centrum Tübingen 2022
Lucca Fries, Jonas Ruther – Foto Tom Hagenauer

Lucca Fries, Piano
Jonas Ruther, Schlagzeug

Tübingen, 18.3.2022

Borderland – mit offenen Grenzen

Ein Moment des Sich – Sammelns. Lucca Fries am Flügel und Jonas Ruther an seinem Schlagzeug. Blicke tauschen. Fast unmerkliches Einzählen, Nicken, dann stehen die ersten Pianotöne im Raum, behutsam und dennoch klar. Und mit viel Raum. Gegenüber streicht der Besen übers Snare, bespielt Jonas Ruther mit der Hand oder auch nur mit einzelnen Fingern Trommeln und Becken. Die ersten tastenden Töne, Tonfolgen und rhythmischen Figuren sind das Material, aus und mit dem Hely den Klangkosmos und Groove dieses Duos schafft. Was sich nach und nach aufbaut, sind manchmal hochkomplexe rhythmische Strukturen, das sind mäandernde Klangkaskaden. Das ist der große Bechstein Konzertflügel, dessen `Innenleben` Lucca Fries mit Dämpfern und direktem Spiel auf den Saiten zum Rhythmusinstrument oder Synthesizer macht, das ist Jonas Ruther, der seinem eigentlich bescheidenen Drumset eine schier unglaubliche Vielfalt an Klängen entlockt, der Becken, Toms oder Snare zum Melodieinstrument macht, Klangobjekte aus Holz und Metall bearbeitet und die Trommel mit einem Küchenhandtuch abdämpft.

Hely im C.Bechstein Centrum Tübingen 2022
Lucca Fries – Foto Daphnis Beyreuther

Eigentlich nur sieben Stücke

Immer mal wieder gibt es Zäsuren für Beifall und freundlich zugewandte Worte über die Musik und die Band. Hely hat sich aus einem Trio entwickelt, spielt seit 2011 zusammen. „Eigentlich haben wir nur sieben Stücke“, lächelt Lucca Fries ins Publikum, „… aber die entwickeln sich immer weiter… solange, bis sie dann irgendwann einen neuen Titel bekommen…“. Aber Namen und Stücke sind vielleicht auch gar nicht so entscheidend für die Musik von Hely, wenngleich Titel wie Trance, Cluster oder Crystal natürlich Hinweise geben auf die Art von Reise, um die es hier geht. Borderland heißt die letzte, vor fast vier Jahren veröffentlichte CD von Hely. Und Borderland ist ein sehr treffender Begriff für das, was in dieser Musik und vor allem life in einem Konzert des Duos zu erleben ist. Das ist wie ein Aufbruch, ausgehend von manchmal nur einem einzigen Ton oder einer schlichten Figur. Eindrückliche Ostinato – Passagen, life gespielte Loops auf akustischen Instrumenten, die Wiederholung dieser Figur, mit manchmal nur minimalen Veränderungen oder anderen Schattierungen. Die Musik verdichtet sich, wird eindringlicher oder sie löst die entstandenen Spannungsfelder auf in pure oder auch großflächige Harmonie. Faszinierend: das Zusammenspiel der beiden Musiker wird im Laufe des Konzerts immer noch intensiver, führt immer tiefer hinein und weiter hinaus. Borderland also nicht als Grenze mit Stacheldraht und Wachtürmen, eher im eine Region mit offenen Grenzen, mit jeder Menge Raum für Neugier darauf, wohin und wie´s weitergeht.

Hely im C.Bechstein Centrum Tübingen 2022
Jonas Ruther – Foto Daphnis Beyreuther

Konzentration und Auflösung

Das Tübinger Bechstein Centrum ist ein guter Ort für ein Hely – Konzert. Inmitten schwarzer Flügel und Klaviere fast feierliche Stille vor dem Konzert. Die Besucher*innen sitzen mit Abstand und damit so, dass jede*r für sich die Musik aufnehmen, genießen kann. Auf jedem Sitz eine kleine Flasche klares Wasser. Es ist eine Atmosphäre für offene Ohren. Lucca Fries und Jonas Ruther bespielen ihn meisterhaft, diesen Raum, lassen gleichzeitig Konzentration und Auflösung miterleben. Jeder einzelne Ton aus dem großen Flügel beginnt hier zu leben, jeder Trommelschlag und jedes Vorbeihuschen an den drei Becken; genauso wie die harmonischen, fast orchestralen Parts, in denen sich fast kosmische Klangkaskaden und Trance – artige Rhythmen durch diesen Abend bewegen. Und schön: wie um zu beweisen, dass sie trotzdem „von dieser Welt“ sind, verabschieden sie sich vor der zweiten Zugabe zurückhaltend und fast ein bisschen humorig und in schwytzerdeutscher Dialektfärbung: „Für den Heimweg bekommen Sie jetzt noch eine kleine Ballade mit…“

Tom Hagenauer