Jan Garbarek Group feat. Trilok Gurtu bei den Theaterhaus Jazztagen 2022

Jan Garbarek, saxophon
Rainer Brüninghaus, piano
Yuri Daniel, bass
Trilok Gurtu, percussion

Stuttgart, 10.4.2022

Sphärisch schwebend: Die Eröffnung der 33. Theaterhaus Jazztage

Ein Schnapszahlengeburtstag eines der wichtigsten deutschen Jazzfestivals! Ein sichtlich stolzer Theaterhausmacher Werner Schretzmeier betritt die Bühne, nicht ohne zu erwähnen, dass der Protagonist des Abends bereits in den Anfangsjahren des Theaterhauses, Mitte der 80er Jahre in der ehemaligen Glasfabrik in Stuttgart-Wangen, seine Visitenkarte in punkto innovativem Saxophonspiel abgegeben hat, damals noch zusammen mit dem Esslinger Bassisten Eberhard Weber. Diesen lässt er mit viel Beifall in seine Wahlheimat Frankreich grüßen, wo Weber nach wie vor am Jazzgeschehen in seiner alten Heimat interessiert teilnimmt.

Mit meditativer Suggestivkraft: Jan Garbarek Group feat. Trilok Gurtu

Bei dieser Formation handelt es sich um eine mit allen Wassern gewaschenen Combo, die es, die Umgebung ausblendend, vermag, mit allen Sinnen ausschließlich in die Musik einzutauchen. Mit erwartungsvoller Vorfreude werden die Heroen schließlich lautstark begrüßt, als sie ins Rampenlicht treten.
Muss man sich überhaupt noch über die Qualitäten eines Jan Garbarek, Trilok Gurtu oder Rainer Brüninghaus auslassen? Wer diese Vollblutmusiker jemals live erlebt hat, weiß wovon die Rede ist.

Bereits in den 70er Jahren hat sich der norwegische Tenor- und Sopransaxophonist auf den Weg gemacht, eine eigene Interpretation des Jazz zu entwickeln. Mit seinen Improvisationen über „Luminessence“, einer Keith Jarrett-Komposition, setzte er eine erste Duftmarke, was den Umgang mit High Notes betraf. Die Basis dafür lieferten die Streicher des Südfunk Sinfonie Orchester. Also auch hier wieder eine Verbindung zu Stuttgart. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte er seine meditative Suggestivkraft weiter. Wie keinem anderen gelang es ihm, das Schwierige einfach erscheinen zu lassen, was ihm zu einer gewissen Popularität verhalf. Sein Saxophonton lebt von einer sehr persönlichen Note und sein Spiel umspannt sämtliche melodischen Facetten; ergreifend, schwelgend und singend. Dabei zieht er mit einzigartigen Phrasierungen, die man so nur von ihm kennt, sein Publikum in Bann.

So auch an diesem Abend, der sphärisch schwebend beginnt. Brüninghaus rollt auf seinen Roland-Keys einen Akkordteppich aus, Gabarek führt mit rauchend -warmem Tenor-Ton in ferne Welten. Spärlich eingeworfene perkussive Klänge von Gurtus ethnischem Schlagwerk, bis dieser zu den Tablas übergeht und sich das Gesamthörerlebnis zu verdichten beginnt. Dafür sorgt letztlich auch der brasilianische E-Bassist Yuri Daniel, der mit seinem 5-saitigen „Fretless“-Instrument die nötigen Akzente setzt. Ein Stück geht ins andere über. Das Gesamtkunstwerk bedarf keinerlei Ansagen und will betrachtet, gehört und gefühlt werden.

Perkussive Klangvielfalt

 Gurtu erweist sich als überaus ergänzender Gegenpol zur meditativ-charismatischen Stille Garbareks. Er ist ein perkussives Schwergewicht, der seine innovativen rhythmischen Verbindungen mit einem Riesen-Instrumentarium zelebriert. Dazu kommt seine Beherrschung der indischen Trommelsprache, die er an diesem Abend ebenfalls zum Besten gibt oder auch der Einsatz eines Cajons, dessen Klangmöglichkeiten er auf eine Weise verändert, die ein Drumset nicht vermissen lassen. Tabla-Fingertechniken auf der Holzkiste scheinen ihm ebenso wenig fremd wie der Einsatz von Boomwhackers am Drumkit – oder Gongs, die er perkussiv durch einen Wassereimer zieht.

Ohne Rainer Brüninghaus am Piano würde aber nichts so funktionieren, vor allem dessen harmonische Erfindungskraft stellt eine weitere tragende Säule dar. Ganz davon zu schweigen, dass er auf einem eigens dafür aufgestellten Flügel seiner pianistischen Strahlkraft minutenlang freien Lauf lässt, was ob seiner, dem Gesamtwerk dienenden sonstigen Zurückhaltung etwas überrascht. Er ist kein Selbstdarsteller, hier jedoch zieht er alle Register seines Könnens. Teilweise hat dies filmmusikalischen Charakter: Vom plätschernden Gebirgsbach über weite Landschaften bis hinein in die Großstadthektik. Seinen zehn Fingern scheinen keine Grenzen gesetzt und keine Klang- und Harmonieverbindungen sind ihm fremd. Ein fulminanter Schlussakkord seines Flügelintermezzos sorgt für begeisterte Jubelschreie und Szenenapplaus.
Daniels Bassspiel umfasst eine riesige Bandbreite. Vom singenden Bass á la Eberhard Weber bis zu funky Licks hat er alles zu bieten was das Bassisten-Herz erfreut; dabei stets lächelnd und im Blickkontakt zu seinen Mitmusikern.

Die Chemie zwischen den Akteuren stimmt zweifelsohne. Das ist auch bei einem Garbarek/Gurtu-Duo überdeutlich zu vernehmen. Während Garbarek die Möglichkeiten einer ethnischen Bambusflöte auslebt, begleitet Gurtu mit Silben und Klatschrhythmen, bevor die restliche Band diesen Steilpass aufnimmt und das Konzert zu einem fulminanten Finale führt.
Maskengedämpftes Johlen und frenetischer Applaus beim Publikum veranlasst die Formation noch eine Zugabe zu spielen, die zu Beginn, in ruhiger Schönheit, wie ein Gutenacht/Nachhausegeh – Lied anmutet, dann in einen erdigen Beat mündet, bevor ein melodiöser Bass wieder Ruhe einkehren lässt. Selbige darf man nach zweistündiger Performance wohl auch den brillanten Musikern gönnen.

Bernd Epple

Portraits von Jan Garbarek

Portraits von Rainer Brüninghaus

Portraits von Yuri Daniel

Portraits von Trilok Gurtu