Abdullah Ibrahim solo beim Jazzfestival Esslingen 2022

Abdullah Ibrahim, piano

Esslingen, 15.10.2022

Eine Ikone des Jazz beim Jazzfestival Esslingen

Abdullah Ibrahim, Pianist und Anti-Apartheid-Aktivist, von Nelson Mandela als „unser Mozart“ bezeichnet, ist Südafrikas bedeutendster Pianist und weltweit geschätzter (Jazz)Musiker.
Eine Ikone des Jazz soll also auftreten. Spielort ist die St. Dionys Kirche mitten in Esslingen. Die Decke ist stimmungsvoll violett-bläulich beleuchtet, über dem Chor dreht sich langsam ein Discoball und wirft amorphe Lichtmuster in den Raum, die Atmosphäre stimmt!
Abdullah Ibrahim wird unter anerkennendem Applaus von seiner Frau hereingeführt. Der 88 jährige Jazzpianist setzt sich an den Flügel und beginnt eine Art Suite zu spielen. Tranceartig versinkt er in seiner Musik und taucht erst nach einer Stunde wieder auf.
Aus dem Musikflow blitzen immer wieder Themenfragmente aus seinen bekannten Kompositionen hervor, die übergangslos mit perlenden Improvisationen verbunden werden, alles verfließt zu einer großen zusammenhängenden Suite. Abdullah Ibrahim präsentiert kein pianistisches Feuerwerk sondern einfache Melodien mit ausgeprägtem Sinn für Schönheit und Harmonie. Meist spielt er langsam, lässt einzelne Töne und Akkorde wirken und entschleunigt so das Konzert. Die Gedanken der Zuhörer folgen dem Flow der Musik, es entstehen Bilder im Kopf, es ist „Dream Time“, wie seine CD aus dem Jahre 2013 heißt.

Andächtige, meditative Stille

Er gönnt sich und den Zuhörern keine Pause, so dass sich die Esslinger ganz wie in einem klassischen Konzert verhalten und keinen Zwischenapplaus geben (können), wie es im Jazz üblich ist. Dadurch entsteht eine andächtige, meditative Stille. Schon von der dritten, vierten Bank aber ist der Künstler kaum zu sehen, gelegentlich taucht sein graues Haupt auf, das Podest auf dem der Flügel steht, ist für diesen Raum viel zu niedrig. Ohne optischen Ankerpunkt wird es dem geneigten Zuhörer fast etwas langweilig, auch weil der Suite ein Spannungsbogen fehlt, selbst die kurzen Eigenzitate sind keine Höhepunkte, alles fließt gleichmäßig, fast ziellos dahin.
Nach gut sechzig Minuten beendet Ibrahim seine Suite, nun können die Zuhörer endlich ihre Begeisterung zum Ausdruck bringen. Viel Applaus! Mit seiner typischen asiatischen Geste der Dankbarkeit, verbeugt sich Ibrahim vor dem Publikum, geht noch einmal zurück an den Flügel für eine kurze Zugabe und erhält dafür stehende Ovationen. Daraufhin stellt er sich an den Rand des Podests  und – gestützt von seiner Frau – singt er mit brüchiger Stimme a capella ein afrikanisches Lied. So verzaubert der Altmeister noch einmal das Publikum.

Helmut Hugo Burkhardt

Portraits von Abdullah Ibrahim