Dhafer Youssef beim Jazzfestival Esslingen 2022

Dhafer Youssef, oud, vocals
Raffaele Casarano, saxophon, clarinet
Eivind Aarset, Gittarre
Adriano dos Santos,
percussion

Esslingen, 16.10.2022

Die Wüste rockt am Neckar

Stehende Ovationen am Ende des Abends Im Neckarforum. Erfreulicher und musikalisch intensiver hätten die Esslinger Jazztage 2022 kaum zu Ende gehen können. Zu Gast am letzten Abend des Festivals, war der gebürtige Tunesier Dhafer Youssef, weitgereister Weltmusiker, autodidaktischer Oudspieler, ungewöhnlicher Sänger und inzwischen eine feste Instanz in der aktuellen Jazzszene. Doch um diese Position zu erreichen musste er sich erstmal durchs Leben kämpfen. Er bringt sich mit 15 Jahren das Oudspielen selbst bei. Das Instrument kaufte er sich mit auf Hochzeiten ersungenem Geld. Sein Gesang begründet sich aus den Liedern der Koranschule, die er mit verschiedenen islamischen Gesangsstilen verbindet. In jungen Jahren migriert er ins österreichische Graz, wo der junge Dhafer sich sein Geld als Tellerwäscher und Pizzaverkäufer verdient. Über Umwege landet er irgendwann in Wien. Hier erhält er die Chance klassische Musik zu studieren. Zehn Jahre Aufenthalt in Österreich bringen ihn in Kontakt mit renommierten Jazzmusikern wie Paolo Fresu, Jack DeJohnette, Renau Garcia-Fons, Markus Stockhausen und anderen.

Diese Vielschichtigkeit, dieser musikalischen Kontakte zeigt sich auch an diesem Abend im Neckarforum. Schon nach wenigen Minuten ist das Publikum gebannt von Youssefs feinem, poetischen Oudspiel und von dem faszinierenden Klang seiner klaren und teilweise in magische Höhen aufstrebenden Stimme. Eigentlich war das Konzert für ein Trio angesagt, neben Youssef waren Raffaele Casarano am Saxophon/Klarinette und Adriano dos Santos an der Percussion im Programm angekündigt. Die  Band wurde an diesem Abend durch den norwegischen Gitarristen Eivind Aarset, den Youssef als musikalischen Blutsbruder und jahrzehntelangen Wegbegleiter bezeichnet, ergänzt, was sich im Laufe des Abends als absoluter Glücksfall herausstellen sollte. Im Mittelpunkt stand diesmal sein 2018 erschienenes Album „Sound of Mirrors“, in dem sich der Tunesier vorwiegend der indischen Musik widmet. Rhythmus spielt in den knapp 100 Konzertminuten eine große Rolle, und schon in der ersten Hälfte des Konzertes fragt sich der Zuschauer wie der wohlbeleibte Schlagwerker dos Santos, dieses teilweise durch die rockig gespielte Oud angetriebene Rhythmusinferno durchhalten will. Die linke Hand ständig an der wummernden Cajon, rechte Hand und beide Beine bearbeiten den Rest des großen Percussionsarsenals. Doch immer wieder gleitet der Sound in märchenhafte, orientalische Gefilde ab, was dem Mann am Schlagzeug regelmäßige Pausen verschafft.

Einmalige Momente

Gerade diese ruhigen Momente, wo sich das Saxophon und E-Gitarre mit Hall durchsetzt, schwebend in das Gefüge eingliedern, entsteht die Magie dieser einzigartigen „verjazzten Weltmusik.“ Dieser Abend ist ein regelrechtes Intervalltraining für die Gehörgänge. Man wird aus diesen schwebenden Soundsequenzen immer wieder, im positiven Sinne heraus gerissen, sei es durch krachende Gitarrenriffs von Aarset, oder dem Jan Gabarek nicht unähnlichen Saxophonspiel von Casarano. Oft duellieren sich Saxophon und Oud untermalt vom treibenden Rhythmus von dos Santos und dem hypnotischen Gitarrenspiel des Norwegers.

Dhafer Youssef  lässt sich musikalisch nicht in eine bestimmte Schublade pressen. Für jedes Konzert kreiert  er Neues und musikalisch Einzigartiges, das für sich steht. Aus seinen Ansagen, die logischerweise in einwandfreiem Deutsch erfolgen, kann man sein Ziel ganz klar erkennen, er will Schönheit und einmalige Momente erzeugen, was an diesem Abend unbestritten gelingt. Bei der langen Zugabe hält es keinen der Zuschauer mehr auf den Sitzen, der rockige jazzige Ethnosound reißt einen mit und wenn auch das ein oder andere musikalische Duell zu lange gerät, das Publikum ist vorbehaltlos begeistert und feiert das Quartett am Ende des Konzertes mit stehenden Ovationen. Tja, so ist das eben wenn „die Wüste am Neckar rockt.“

Harald Kümmel

Portraits von Dhafer Youssef

Portraits von Raffaele Casarano

Portraits von Eivind Aarset

Portraits von Adriano dos Santos