Coleman Hawkins – Der König des Tenor-Saxophones

Klaus Huckerts Jazz Ecke
Klaus Huckerts Jazz Ecke

Der Picasso des Jazz

Im Jahr 1939 veröffentlichte Coleman Hawkins die Aufnahme „Body and Soul“. Die Interpretation dieses Titels von Coleman mit seinem Tenor-Saxophon gilt heute als eine der historisch bedeutendsten und innovativsten Improvisationen im Saxophon-Bereich. Warum ist diese aus Jazzkreisen vertretende Meinung wohlbegründet?

Dazu sollte man wissen, dass das Tenor-Saxophon erst Mitte der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine prägende Rolle als Solo-Instrument im Jazz einnahm. Bis dahin war dieses Instrument vor allem in Vaudeville-Shows und als Satz-Instrument in Big-Bands oder Militärkapellen im Einsatz. Hawkins hatte bereits etwa ab 1926 versucht, das improvisatorische Klavierspiel von Art Tatum auf sein Lieblingsinstrument zu übertragen. Bei seinem historischen Improvisations-Solo zu „Body and Soul“ kamen ihm hervorragende Kenntnisse der Akkordtheorie, Wissen über klassische Musik (Bach, Debussy) und ein enormes Wissen über Jazz-Standards zugute. Hawkins verdanken wir die Übersetzung einer romantischen Ballade zu einem Demonstrationssong für geschichtliches, fortschrittliches Tenor-Saxophonspiel.

Wer war dieser Coleman Hawkins?

Hawkins wurde 1904 in St. Joseph (Missouri) geboren. Seine Eltern ermutigten ihn, Klavier und klassisches Cello zu erlernen. Später kamen ein C-Melody-Saxophon hinzu und später dann sein Hauptinstrument – das Tenor-Saxophon hinzu. Bereits mit 17 Jahren war der Jung-Musiker in der Begleitband der bekannten Vaudeville-Künstlerin und gelegentlichen Blues-Sängerin Mamie Smith zu finden. In dieser Band war er einer der wenigen Musiker, der die Kunst des Notenlesens und des Orchester-Arrangierens beherrschte. Zwei Jahre später stieg Hawkins in die Big Band von Fletcher Henderson ein und war nach kurzer Zeit aufgrund seines musikalischen Könnens der Star-Solist. Elf Jahre blieb der Musiker in diesem Orchester, machte sehr erfolgreiche Plattenaufnahmen, die bis nach Europa in die Jazzszene vordrangen. In der Henderson-Band erwarb er sich seinen Kurznamen „Bean“, was eine ehrfurchtsvolle Verbeugung vor seinem Können war und umgangssprachlich im Amerikanischen musikalisches Genie bzw. Intellektueller bedeutet.

Coleman Hawkins – Europäische Wanderjahre und die Rückkehr in die USA

1934 ging Coleman von Amerika nach Europa und war dort u.a. in der Jack Hylton-Band nach England. Eine Anekdote wird gerne über seinem Einstieg in dieses Orchester erzählt. Hawkins hörte durch befreundete Musiker in den USA, dass er als ein großer Jazz-Star in England gehandelt wurde. Die Kollegen empfahlen den Bandleader Jack Hylton zu kontaktieren, um auszuloten, ob eine Mitgliedschaft in seinem Konzert-Orchester in Frage käme. Da der Saxophonist den Orchesterchef Hylton weder kannte noch seine Postanschrift wusste, schickte er ein Telegramm an die Adresse „Jack Hylton England“. Innerhalb eines Tages erhielt Hawkins eine positive Antwort und ein Schiffsticket, das ihn nach England bringen sollte.   

Mit mehreren Orchestern und Combos spielte er dann ungemein erfolgreich in England, Frankreich, Schweden, Dänemark, Belgien und der Schweiz. Lediglich die Nazi-Regierung in Deutschland wies sein Ansinnen dort aufzutreten zurück, weil der Musiker Afro-Amerikaner war. Der Jazzer nahm  in zwei Sessions in Frankreich mit französischen und internationalen Musikern zwei LP’s auf, die für Furore in Europa und USA sorgte. Mit dem Michel Warlop Orchestra nahm er 1935 in Paris eine Platte auf, die so illustre Musiker wie Django Reinhardt, Stephane Grappelli, Arthur Briggs etc. umfasste. Zwei Jahre später eine zweite Platte mit einer All-Star Jam Band, die die Musiker aus dem Jahr 1935 umfasste plus Benny Carter. Als bekanntestes Stück aus dieser Platte sei der Swing-Titel „Crazy Rhythm“ genannt.

Der Saxophonist kehrte nach fast fünf Jahren in Europa 1939 in die USA zurück, da er die kriegerischen Auseinandersetzungen, die in den zweiten Weltkrieg münden sollten, kommen sah. Hawkins galt in Amerika immer noch als führender Vertreter des Tenor-Saxophones. Doch eine neue Generation von Tenor-Saxophonisten z.B. Lester Young, Illinois Jacquet, Chu Berry oder Don Byas knabberten an seiner Vorherrschaft. Die Jazz-Legende stellte sich eines Nachts in einer kleinen Musikerkneipe seinen Rivalen bei einer „Jazz-Battle“. Bei solch einem freundschaftlichem Wettbewerb können Musiker abwechselnd Soli zu einem Standard spielen und versuchen, sich gegenseitig in Kreativität, Ausdruck und Technik zu übertreffen. Hawkins bestätigte seine Führungsrolle für das Tenor-Saxophon. Nur Billie Holiday behauptete später immer, dass Lester Young die „Battle“ gewonnen hätte.

Coleman Hawkins – Vierziger bis sechziger Jahre

In Amerika traf der Saxophonist in den vierziger Jahren auf den Bebop. Relativ mühelos fand er sich in diese Stilistik ein, dessen innovatives Potential der Musiker in sein Spiel integrierte. Er holte nach und nach junge, bedeutende Musiker in seine verschiedenen Bands, wie z.B. Thelonious Monk, den Trompeter Fats Navarro oder den Schlagzeuger Max Roach. Norman Granz, der bekannte Jazz-Impresario, verpflichtete ihn für seine „Jazz at the Philharmonic“-Tourneen. Plattenaufnahmen mit dem Pianisten Sir Charles Thompson, dem Alt-Saxophonisten Charlie Parker, dem Trompeter Dizzy Gillespie, dem Posaunisten Kai Winding usw. entstanden in einer Fülle, die ihresgleichen sucht. In dieser Zeitperiode nahm er seinen Klassiker “Body and Soul“ neu auf.  Coleman modernisierte diesen Standard und nannte ihn 1948 dann „Picasso“. Der Titel ist die erste unbegleitete Saxophon-Soloaufnahme im Jazz.

Obwohl ein Plattenproduzent Coleman Hawkins im Mai 1944 in der Zeitschrift „Metronome“ erstmals als „Picasso des Jazz“ bezeichnete, vermuten neuere Meinungen, dass der Platten-Titel „Picasso“ von Norman Granz während der Aufnahme-Session erfunden wurde. Granz war zeitlebens von den Gemälden des Malers fasziniert. Tatsächlich investierte der Impresario in Bilder und Werke von Picasso, lernte den Maler kennen und benannte ein Plattenlabel nach dem Künstler – die „Pablo Records“.  Coleman Hawkins Solo ist tatsächlich ein provokatives Stück abstrakter Musik, das an die Malerei von Pablo Picasso erinnert. Begierig stürzten sich viele Jazz-Musiker auf diese neuartige Interpretation und coverten den Titel.

In den 1950er- und 1960er-Jahren arbeitete Hawkins hauptsächlich mit kleineren Gruppen. Zu seinen großen Erfolgen zählen seine Aufnahmen aus den Jahren 1957 bis 1959. Im Jahr 1957 nahm er die Platte „Coleman Hawkins encouters Ben Webster“auf. Begleiter in diesen Aufnahmen waren Oscar Peterson, Herb Ellis, Ray Brown und Alvin Stoller. Im Titel „It never entered my mind“ übernimmt Saxophonist Ben Webster das Einstiegs-Solo, woraufhin Coleman mit einem gefühlvollen Antwortspiel reagiert. Man könnte sagen, dass beide die Kunst des Gesangs auf das Tenor-Saxophon übertragen haben. Ein Genie-Streich ist auch der Titel „Blues for Yolande“. Nach einer rollenden, bluesbetonten Einleitung von Peterson übernimmt Coleman für mehrere Chorusse die Führung, dann steigt Ben Webster zunächst verhalten, aber kongenial ein. Die genannte Platte ist eine wahre Sternstunde des Instrumental-Jazz. Ein weiterer Höhepunkt ist das Album „Milt Jackson & Coleman Hawkins – Bean Bags“ aus dem Jahr 1958, bei dem Giganten des Jazz aufeinandertreffen. Milt Jackson vom Modern Jazz Quartett brilliert mit meisterhaftem Vibraphon-Spiel und Coleman mit seinem phänomenalen Saxophon-Sound. Als Begleitmusiker wirkten bei diesen Aufnahmen unter anderem Kenny Burrell an der Gitarre, Eddie Jones am Bass, Tommy Flanagan am Piano und Conny Kay am Schlagzeug mit.

Im Jahre 1962 verwirklichte der Saxophonist einen großen Traum. Er nahm mit Duke Ellington und Teilen der Ellington-Big Band eine LP auf. Weitere Glanzlichter sind die Aufnahmen mit Sonny Rollins im Jahr 1963.

Der Jazzkritiker Marcus A. Woelfle hat mit zwei Sätzen das Werk von Coleman Hawkins charakterisiert: „Er war ein Bildhauer, der seine Töne meißelte, ein Maler, bei dem die scharf gezeichnete, hervorgehobene Kontur alles beherrschte. Ein Picasso also“.

Das rastlose und von großen Erfolgen gekennzeichnete Leben forderte ab Mitte der sechziger Jahre dann seinen Tribut. Depressionen und viel Alkohol nahmen einen Mittelpunkt in seinem Leben ein, die Genialität verblasste. Unterernährt, alkoholkrank und total geschwächt durch eine schwere Leberkrankheit verstarb Coleman Hawkins am 19. Mai 1969 in New York. Einer der führenden, genialen Jazz-Größen war verglüht.

Quellen:

DVD

Coleman Hawkins – Live in ’62 & ’64, Jazz Icons 2009

Empfehlenswerte CDs

Coleman Hawkins and his All-Star-Band (HMV 1937)
Coleman Hawkins Body and Soul (Bluebird 1939)
Coleman Hawkins Picasso (1948, Verve Jazz Masters)
Coleman Hawkins encounters Ben Webster (Verve 1957)
Coleman Hawkins – The Genius of Coleman Hawkins (Verve 1957)
Milt Jackson & Coleman Hawkins – Bean Bags (Atlantic 1958)
Coleman Hawkins – Soul (Prestige 1958)
Duke Ellington meets Coleman Hawkins (Impulse 1962)
Sonny Rollins meets Hawk (RCA 1963)

Buch/Internet

Teddy Doering: Coleman Hawkins – Sein Leben. Seine Musik. Seine Schallplatten, Oreos-Verlag 2001

Teddy Doering hat ein außergewöhnliches, hochinteressantes Buch zu dem Tenor-Saxophonisten geschrieben. Neben seiner Lebensgeschichte präsentiert der Autor eine wunderbar gestaltete Discografie der Hauptwerke von Hawkins. Er nennt Ort, Zeit, Mitwirkende an den Aufnahmen und beschreibt kenntnisreich den musikalischen Inhalt der Einspielungen.

Picasso 1948 auf swingandbeyond.com

Klaus Huckert