Andreas Schaerer & A Novel of Anomaly bei den Theaterhaus Jazztagen 2025
Andreas Schaerer (voc)
Luciano Biondini (acc)
Kalle Kalima (git)
Lucas Niggli (dr)
Stuttgart, 21.4.2025
Schwyzerdeutscher Weltengesang
Wie an so vielen Abenden während den Theaterhaus Jazztagen, erwartete den zu zwei Dritteln gefüllten Saal auch diesmal wieder eine besonders spannende Melange der musikalischen Extraklasse. Der schweizerische Vocalartist Andreas Schaerer und seine Band präsentierten dem Publikum komplett ihr 2018 erschienenes Album „A Novel of Anomaly“. Im zweiten Teil des Abends trat das Trio Vibe Factor mit den Ausnahmemusikern Joo Kraus, Omar Sosa und Diego Pinera auf. Die Zuhörer erlebten über drei Stunden hinweg einen Mix vielfältiger Soundgebilde, die jegliches musikalisches territorialisches Denken überwindet.
„Wir wollen unser Publikum nicht mit theoretischen Manifesten ansprechen, sondern mit sinnlicher, emotionaler Musik bewegen. Wir wollen Freiheit nicht nur propagieren, sondern sie in der Musik gemeinsam mit dem Publikum leben“, so Schaerers Statement zum aktuellen Projekt. Wer noch nie einem Konzert dieser Band beigewohnt hat, ist erstmal völlig verblüfft, oder gar erschlagen von diesem intensiven Sound den Schaerer und seine Mannen entwickelt haben. Die Auftritte dieses transeuropäischen Quartetts gleichen eher einem rituellen Befreiungsritual, als einem normalen Konzertbesuch. Der Sound ist nirgendwo anzusiedeln, er bewegt sich im Niemandsland zwischen archaischen-alpinen Einflüssen, volkstümlicher italienischer Akkordionmusik, psychedelischen Rock und weltmusikalisch geprägten Polyrhythmen, die gepaart werden mit leidenschaftlichen Improvisationen. Es jodelt, brodelt, blubbert, scheppert und kracht in den Stimmbänder von Schaerer und die Einflüsse die durch die Zusammenarbeit mit dem Guru der Vokalartistik, Bobby McFerrin, entstanden, sind unverkennbar.
Ein archaisch-alpiner-italiana-Soundmix, mit finnischem Einfluss
Auch der kongeniale und vielseitige finnische Gitarrist Kalle Kalima lässt es gelegentlich krachen, dann jault sein Instrument wieder unerbittlich auf, um Sekunden später wieder sanft gestreichelt zu werden. Mit Luciano Biondini hat Schaerer einen der weltbesten und virtuosesten Akkordeonisten an seiner Seite, der sich mit seiner von italienischer Lebensfreude überschäumende Spielweise nahtlos in dieses zeitlose musikalische Gebilde einfügt. Lucas Niggli am Drumset ergänzt und untermalt diese Gebilde nicht minder virtuos und einfallsreich. Es verschwimmen die Grenzen zwischen alter und neuer Musik mit vielen Freiräumen für Improvisationen, die oftmals heiter daherkommen und immer wieder für Gelächter im Publikum sorgen. Jazz muss ja schließlich nicht immer eine ernste Sache sein.
Der vielfach ausgezeichnete und mit Jazz-Awards überschüttete Sänger verblüfft nahezu in jeder Minute des Konzertes mit neuen unvergleichbaren Stimmvariationen. Mal „beatboxed“ er ohne Begleitung seiner Mitstreiter, Augenblicke später rutscht das Ganze in textlose klassische Gesangslinien ab um dann wieder von Zwitschern, Pfeifen und Hauchen abgelöst zu werden. Man wird zwischen Musikwelten hin- und hergeschleudert, um immer wieder in die Poesie, die dieser Sound durchaus auch bietet, abzugleiten. Diese Musik ist eine wilde Mischung aus unerwarteten Wendungen, verrückten Sounds und Momenten voller Überraschungen. Mal laut, mal leise, mal total abgefahren – immer anders als man denkt und die Zeit verfliegt gefühlt rasend schnell. Nach siebzig Minuten intensivem Musikzauberei, die für viele Zuhörer völlig Neues in die Gehörgänge beförderte, ist Schluss. Eine Pause ist von Nöten um das musikalisch Unwahrscheinliche das in dieser Zeit geschah zu verarbeiten.
Harald Kümmel
Portraits von Andreas Schaerer
Portraits von Luciano Biondini
Portraits von Lucas Niggli
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