70 Jahre SWR Big Band – Das Heimspiel

SWR Big Band:

Saxophon: Klaus Graf (as), Matthias Erlewein (as), Axel Kühn (ts), Andreas Maile (ts), Pierre Paquette (bs)
Trompete: Nemanja Jovanovic, Felice Civitareale, Karl Farrent, Rudolf Reindl
Posaune: Marc Godfroid, Ernst Hutter, Ian Cumming, Georg Maus
Piano: Klaus Wagenleiter
Gitarre: Klaus-Peter Schöpfer
Bass: Decebal Badila
Schlagzeug: Guido Jöris

Gäste:

Magnus Lindgren
Curtis Stigers
Paul Carrack
Till Brönner
Max Mutzke
Fools Garden
Gregor Meyle
Joo Kraus
Nils Landgren
Jan Lundgren
Fola Dada
Onita Boone
Ida Sand
John Beasley
Martin Tingvall
Jakob Manz
Zucchini Sistaz
Götz Alsmann

Stuttgart, 3.4.2022

Musikalischer Bigband Overload in der Porsche Arena

Als kurz nach 23 Uhr in der Stuttgarter Porsche Arena die Lichter auf der für große Orchester konzipierten Bühne ausgingen, hörte man so manchen innerlichen Stoßseufzer: “Geschafft, jetzt reicht`s auch!“  Selbst der typische Schwabe, der immer viel für sein Geld erwartet und haben will, war am Rande seiner musikalischen Aufnahmefähigkeit angekommen.

Gute dreieinhalb Stunden hochqualitative Musik in allen Facetten können wahrhaftig einen musikalischen Overload produzieren. Wie auch immer, der Abend war für alle Beteiligten und für die knapp  6000 Zuschauer ein unvergessliches visuelles und akustisches Erlebnis der besonderen Art, das wohl in dieser Form nie wieder stattfinden wird.

Die SWR Big Band, 1951 von Erwin Lehn als „Südfunk Tanzorchester“ gegründet, feierte im großen Rahmen, mit einem Jahr Verspätung, in der Stuttgarter Porsche Arena mit illustren Gästen aus der Jazz- und Popwelt ihr siebzigjähriges Bestehen. 71 ist eben das neue 70, wie Moderator Götz Alsmann zu Anfang des Abends schmunzelnd meinte. Alsmann, ein Freund und langjähriger Wegbegleiter der Band, führte gekonnt durch den Abend und steuerte auch eigene Showelemente und Gesangseinlagen bei. Ein wahrer Kenner der Big Band, der die Historie der Band mit viel Witz und Fachwissen dem Publikum präsentierte.

Mit dem neu arrangierten Earth, Wind and Fire Titel „In the Stone“ startete der Abend gleich mit Vollgas in die kommenden 3 Stunden.

Heimspiel im Ländle

Fola Dada, gebürtige Stuttgarterin und Dozentin an der Musikhochschule in Stuttgart und fester Bestandteil der Band, sorgt gleich zu Beginn mit ihrer gewaltigen Stimme für die ersten Gänsehautmomente. Es verwundert nicht, dass sie von vielen Castingshows in Deutschland als Stimmtrainerin engagiert wird.

Die Baden-Württemberger hatten den ersten Teil der Show fest in der Hand. Max Mutzke brachte mit dem beschwingten Titel „Telefon“ das Publikum zumindest dazu, auf den Stühlen zu wippen. Er kommt schließlich auch aus dem Ländle, genauer gesagt aus Waldshut-Tiengen. Im Publikum konnte sich wohl kaum jemand daran erinnern, dass der Schwarzwälder 2004 beim Eurovision Contest für Deutschland startete und den achten Platz belegte. Inzwischen hat sich Mutzke zu einem respektablen und vielseitigen Sänger entwickelt, der über Soul, Funk bis hin zum Jazz alles singen kann.

Spätestens als der dritte im Ländle geborene Sangesstar die Bühne betrat, war der Titel des Abends mit „Heimspiel“ erklärbar. Gregor Meyle, geboren in Backnang, machte bei seiner Ansage auch keinen Hehl daraus, dass ihm die schwäbische Sprache nicht fremd ist, und das kommt beim mehrheitlich einheimischen Publikum natürlich blendend an. Der über Castingshows bekannt gewordene Meyle hat sich mit seinen oft melancholischen Songs in den deutschsprachigen Hitlisten inzwischen fest etabliert. 2017 wurde er zum Hutträger des Jahres in Deutschland auserkoren und wie auch an diesem Abend thronte das gute Stück auf seinem Kopf.

Schwaben und Schweden

Bis dahin ein bunter Abend, aber Jazzfeeling…größtenteils noch Fehlanzeige…mit Ausnahme des kurzen Intermezzo der „Schwedenconnection“ Landgren/Tingvall am Anfang des Abends und dem Benny Goodman Klassiker „Sing, Sing, Sing.

Schwaben und Schweden scheinen eine enge Verbindung zu haben, denn mit Nils Landgren, Martin Tingvall standen zwei der einflussreichsten Jazzmusiker aus dem nordischen Land auf der Bühne. Martin Tingvall, ein musikalisches Multitalent, der mit seinem Trio dem Musikpreis Echo in der Sparte Jazz schon dreimal gewann und für verschiedene Filme und Tatorte die Musik komponierte. Auch Nils Landgren, der Mann mit der roten Posaune, heimste schon unzählige Musikpreise ein und zählt zu den einflussreichsten europäischen Jazzmusikern. Für seine Rolle im kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Skandinavien erhielt er 2019 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Pop meets Jazz

Poppig gings dann auch weiter, wie nicht anders zu erwarten mit Künstlern aus dem Ländle. Die One-Hit-Wonder Band „Fools Garden“ aus Pforzheim präsentierte (noch) nicht ihren Platinhit „Lemon Tree“, sondern das orchestral arrangierte Electrify. Beim dezenten Beifall war dem Publikum anzumerken, dass nun endlich mal die jazzige Keule rausgeholt werden sollte, um den Erwartungen eines Big Band-Abends zu entsprechen.

Die „Zucchini Sistaz“ schufen dann den Übergang mit „Carmens Boogie“ zu dem wunderbaren Scarborough Fair (bekannt durch Simon und Garfunkel aus dem Film „Die Reifeprüfung“) herrlich gefühlvoll interpretiert von Trompeter Joo Kraus und dem Pianisten Ralf Schmid. Der Übergang zur Abteilung Jazz hätte schöner kaum sein können, als der Superstar des Abends, Curtis Stigers, die Bühne betrat und mit seinem unvermeidlichen „I wonder why“ so manche Frauenherzen wieder zu einer erhöhten Schlagfrequenz verhalf. Vor der Pause betrat der inzwischen zur Sangeslegende apostrophierte Paul Carrack die Bühne. Seit Jahren ein beständiger Gast der Big Band. Kaum jemand weiß, außer dem Autor dieser Zeilen, dass Paul Carrack einst mit einer Gruppe namens „Warm Dust“ 1972 in der Sindelfinger Ausstellungshalle spielte.

Unaufgeregt und souverän manövrierte Dirigent Magnus Lindgren das Orchester durch die verschiedenen Musikstile und dann schließlich, nach gut neunzig Minuten, in die Pause.

Ein Abend der Kontraste

Erinnerungen an Bibi Johns, Caterina Valente erwachten nach der Pause bei den Klassikern, aus den fünfziger Jahren, allen voran „Gib mir einen Kuss durchs Telefon“, lustvoll von Götz Alsmann interpretiert. Paul Kuhn, Hugo Strasser waren wohl die bekanntesten Namen aus diesen Jahren, oder Horst Jankowski dessen Schwarzwaldfahrt neu arrangiert wurde und die 70plus Generation, die einen nicht unbeträchtlichen Teil des Publikums ausmachte, an die Schwarzweißfernseherzeit erinnerte.

Ein weiteres Mal schlugen einige Frauenherzen höher, als der wie immer smarte Till Brönner mit einem „Blue eyed Soul Medley“, seine Extraklasse zeigt. Später wurde die Bühnenpräsenz gewaltig, als sich bei „Summerwind“ Curtis Stigers dazu gesellte. Ein Abend der Kontraste, dies wurde einem besonders bewusst, als das Duo „Fools Garden“ ein zweites Mal die Bühne betrat und ihr unvermeidliches „Lemon Tree“ präsentierte. Mit 500 Millionen Klicks auf YouTube übrigens Rekordhalter im Bereich Musik. Nach dieser kurzen Party- und Mitklatschstimmung sorgte Martin Tingvall mit der Filmmusik aus „Vägen“ für eine durchaus anrührende und melancholische Atmosphäre, bevor Brönner und Co. mit einem Charlie Parker Medley zum Sturm bliesen.  

Big Band-Jazz als hitzige Konzertschlacht

Vocalise it“ war nochmal das Motto, als der Abend, mit den „Queens of Soul“, Max Mutzke und Paul Carrack  auf die Zielgerade einbog und auf das große Finale zusteuerte, bei dem alle Beteiligten noch einmal die Bühne betraten. Ein durchaus beglückender Moment für Musiker und Publikum, mit der Hoffnung verbunden, dass nach dieser langen fordernden kulturellen Zwangspause, sich endlich wieder die Kreativität und Spielfreude in Konzerthallen, Clubs, Theatern und Opernhäusern einstellt. Dizzy Gillespie und Charlie Parkers „A Night in Tunisia“ untermauerten nochmal zum Schluss des Abends, dass dieses Geburtstagskonzert, trotz aller musikalisch differenten Auftritte, in erster Linie ein Abend des Big Band-Jazz war. Wie Anfangs schon bemerkt, war dieser absolut wohltuende Abend durchaus fordernd, auch für das Publikum, dass kurz nach 23 Uhr von der Porsche Arena in die kalte Nacht entlassen wurde, um sich nach solch einer hitzigen Konzertschlacht etwas abzukühlen.

Harald Kümmel

Beitrag zur Geschichte der SWR Big Band von Klaus Huckert

Portraits von Magnus Lindgren

Portraits von Curtis Stigers

Portraits von Joo Kraus

Portraits von Ralf Schmid

Portraits von Nils Landgren

Portraits von Fola Dada

Portraits von Ida Sand

Portraits von John Beasley

Portraits von Martin Tingvall

Portraits von Jakob Manz

Portraits von Klaus Graf