Konzerte

Nils Petter Molvaer Trio im Sudhaus Tübingen 2025

Nils Petter Molvaer, trumpet
Jo Berger Myhre, bass
Erland Dahlen, drums

Tübingen, 2. Mai 2025

Filigrane Melodien und elektrische – pulsierendes Trio

Erwartungsvolles Lauschen im Dunkel des Sudhaussaales. Signale aus der Zukunft. Die Klänge unentdeckter Galaxien oder die Sounds längst versunkenen Welten womöglich unserer eigenen Erde? Es könnten Vogelschreie oder Walgesänge sein, voller Angst oder Sehnsucht. Klänge von ganz weit weg und trotzdem plötzlich ganz nah. Naturgeräusche oder Elektronik? Beides? Das Konzert des norwegischen Trompeters Nils Petter Molvaer beginnt behutsam und sacht. Über den anfänglichen Soundscapes ertönt rein und fast zerbrechlich seine Trompete. Dazu Gongs und Glocken, die Erland Dahlen an seinem ansehnlichen und ausladenden Schlagzeug anklingen lässt. Klangtupfer zunächst, eher verhalten. Unmerklich aber, ohne spürbare Zäsur hat die Musik längst zu fließen begonnen. Jo Berger Myhre  unterstreicht mit seinem Bass einen warmen und freundlichen Grundton. Fast zwanzig Minuten lang ist diese erste Konzert-Sequenz, Band und Publikum haben sich eingestimmt, haben ihren flow gefunden. Musik in weiten Passagen aus dem aktuellen Album `Stitches`. Der Grundpuls ist eher langsam, ab und zu als noch eher entfernt lauerndes Grollen, deuten sich Soundcluster und Basspakete am Horizont an, treiben auf uns zu, die Spannung steigt. 

Stilprägende Musik

Als Molvaer 1998 mit seinem Album Khmer in der Jazzhemisphäre auftauchte, sorgten zwei Dinge für Aufsehen. Da ist diese Mischung aus manchmal klarer und deutlicher Jazz – Trompete, dazu Elemente, Instrumente, und Mitspieler, die die Themen mit Drum `n Bass, TripHop oder Techno zu einer bis damals neuen und aufregenden Mischung verschmolzen.  Das Zweite war, dass es seit dem Tod von Miles Davis in der Jazzwelt wohl immer noch eine Lücke zu füllen gab. Und da Molvaers Ton oft an den großen Innovator erinnerte, gab´s nicht wenige, für die der Norweger mit seiner explosiven Musik als eine Art Nachfolger oder `Erben` des 1992 verstorbenen Miles Davis ansahen. Molvaer selbst – erzählt er – war in seinen jungen Jahren ziemlich angeturnt von Miles Davis, von dessen `elektrischer Phase`. Hat sich dann aber von seiner Heimatinsel Sula in Norwegen aufgemacht auf seinen eigenen (musikalischen) Weg. Natürlich weiß niemand, in welche Richtung Miles Davis weitergegangen wäre, aber Nils Petter Molvaer hatte mit seiner Melange aus manchmal schweren Beats, Elektronik, und der manchmal fast filigranen Trompete seinen eigenen Ton gesetzt, ist selbst inzwischen stilprägend.

Hypnotische Beats und Kammermusik

In Tübingen ist Molvaer seit weit über 20 Jahren ein gern gehörter Gast. Mit seinem Stitches – Trio in diesem Mai war er in seiner bislang `akustischsten` und `melodischsten` Formation hier. Jo Berger Myhre spielte einen halbakustischen Bass. Grundcharakter warm, gleichzeitig für den Grundgroove aber auch für Melodien zuständig. Sein Spiel ist manchmal knackig, funkig auf den Punkt, manchmal spielt er Akkorde, wie eine Rhythmusgitarre oder lässt Melodien fließen, mit dem Bogen gestrichen, weite Bögen beschreibend. Erland Dahlem hatte zwar ein riesiges Arsenal von Trommeln, Becken, Gongs, Glocken, Hölzern, Metallen um sich versammelt. Da sind Waldgeräusche oder Tierstimmen zu hören, manchmal spielt Erland Dahlem auch fast `normal` Schlagzeug, manchmal klingt das, was er an seinem Geräuschparcours produziert wie eine Metallmanufaktur. Trotzdem spielt hat Molvaer organisch mit diesen schier unendlichen Möglichkeiten umzugehen – sie in ein organisches Ganzes zu verwandeln. Aus leisen, kleinen, vorsichtigen Themen und Melodien entstehen in diesem Trio die Stücke, bauen sich auf, treiben auf eine Climax zu, und werden mitunter zu massiven clusterartigen Sound– und Rhythmusgebilden, die sich in eine tranceartige Unendlichkeit verabschieden wollen. Die ganz große Kunst dieser Band ist, ohne Brüche aus diesen wirbelnden Orkanen oder kosmischen Eruptionen wieder zu landen, in kammermusikartige Passagen zu münden, in ruhige Gewässer zurückzufinden – in eine einfache, schlichte Melodie, gespielt von akustischen Instrumenten. Was für eine wunderbare Idee und welch eine schöne und hoffnungsvolle und Botschaft: Nils Petter Molvaers Version des Radiohead – Songs `True Love Waits’ als Zugabe. 

Tom Hagenauer

Portraits von Nils Petter Molvaer