30 Jahre Wiedereröffnung das Jazzkellers Esslingen (3/3)

Teil 3: Der Jazzkeller wird wieder eröffnet
Fortsetzung des Interviews mit Udo Klinner
Der Jazzkeller war ja beinahe ein Vierteljahrhundert geschlossen. Waren die Aktiven aus den Gründungsjahren des Jazzkellers noch da? Waren sie weiterhin am Jazz interessiert?
Ja, die meisten waren tatsächlich noch da. Man hatte die Leidenschaft für den Jazz nicht aufgegeben. Gut, der eine oder andere war aus beruflichen oder privaten Gründen aus Esslingen weggezogen. Aber der harte Kern war noch da. Das war sehr, sehr schön. Und auch die Musiker waren wieder da und haben die Szene wiederbelebt, Wolfgang Dauner hat mit Albert Mangelsdorff sogar das Eröffnungskonzert bestritten.
In den Anfangsjahren hat dann Günter Graf, ein lieber guter Freund – leider auch schon verstorben – die Führung des Clubs übernommen. Walter Schäfer hat Esslingen dann verlassen, seine Adresse habe ich leider nicht mehr, ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt. Aber Günter Graf hat wirklich eine tolle Arbeit gemacht. Es gelang ihm, wieder sehr namhafte, international renommierte Musiker an Land zu ziehen. Und so gab es bald schon wieder eine lebendige Esslinger Jazzszene. Allerdings nahm auch die organisatorische Arbeit zu, und so teilte sich Günter Graf bald die Verantwortung mit Jochen Volle, dem Leiter der Musikschule, später kam noch Eckhart Fischer dazu. Als Günter sich aus gesundheitlichen Gründen zum Rückzug gezwungen sah, begann die Ära Claudia Leutner/Barbara Antonin, die bis heute anhält. Das wunderbare Duo zeigt seitdem der Jazzwelt, was eine Harke ist. Man kann ihnen nur den allergrößten Dank aussprechen für das, was sie bis zum heutigen Tag auf die Beine stellen.

Und du warst plötzlich Musikjournalist!
Ich muss dazu sagen, dass ich durch meine berufliche Tätigkeit in den damaligen COMECON-Ländern meinem Faible für Jazz weiter nachgehen konnte. Ich war in den Jazzclubs von Budapest, Warschau und Prag – Prag war für mich ein Zuhause – ich habe sogar, was mir keiner glaubt, nahe der Moskauer Lomonossow-Universität in einem anonymen Studententreff Jazz gehört. Ein Mitarbeiter einer unserer staatlich verordneten russischen Vertragspartner hat mich mal zur Seite genommen und mir verraten, dass er auch Jazzfan ist. Ihm habe ich dann immer mal wieder Schallplatten und Kassetten mitgebracht. Bei den Kontrollen am Moskauer Flughafen Scheremetjewo habe ich dann regelmäßig gezittert vor Angst, dass ich auffliege. Mein russischer Kollege war mir natürlich unendlich dankbar, denn zu der Zeit war es in der damaligen Sowjetunion beinahe unmöglich, an westliche Jazzplatten zu kommen. Eines Tages hat er mich zum Konzert einer finnisch-russischen Jazzgruppe mitgenommen. Es wurde ein wunderbarer Abend, wir waren glücklich, so etwas in Moskau hören zu dürfen, auch wenn die Qualität der Ad hoc-Combo nicht ganz so umwerfend war. In Brünn bekam ich Kontakt zu Gustav Brom, dem Leiter der berühmtesten Big Band der Tschechoslowakei. Wir trafen uns immer wieder während der Internationalen Industriemesse, er hat mich zu sich nach Hause eingeladen, wir haben gegessen und gefachsimpelt, und natürlich habe ich auch ihm die begehrten Platten mitgebracht. Als ganz besonderes Glück empfand ich es, dass er mich einmal zu Studio-Aufnahmen bei Radio Brünn eingeladen hat. Gerne erinnere ich mich auch daran, dass er mir beim Abschied immer einen Gruß an seinen Freund Erwin Lehn mit auf den Weg gab.
Aber jetzt nochmal zurück zu deiner Frage, die habe ich jetzt ganz vergessen.
Ich habe dich an deine Karriere als Konzertrezensent erinnert.
Aus gesundheitlichen Gründen musste ich mich leider aus meinem Beruf ein bisschen zurückziehen und habe mich mit anderen Dingen wie zum Beispiel der Malerei beschäftigt. Und ich hatte Zeit, wieder häufiger zu Jazzkonzerten zu gehen. Dort kam ich irgendwann mit Alexander Maier von der Esslinger Zeitung ins Gespräch, der mich fragte, ob ich denn keine Lust hätte, ab und zu über ein Konzert im Jazzkeller zu schreiben. So fing das an. Am Anfang habe ich noch manche handwerklichen Fehler gemacht, ich wurde ja sozusagen ins kalte Wasser geworfen, aber nach und nach fühlte ich mich sicherer. Und offensichtlich wurde ich bald auch akzeptiert, von den Lesern und auch von den Musikern. Und so durfte ich dann 20 Jahre lang regelmäßig für die Esslinger Zeitung schreiben, nicht nur über Jazz, sondern auch über Kunst.

Erzähl doch mal von deinen persönlichen Highlights aus dieser Zeit.
Da gäbe es natürlich eine ganze Menge zu erzählen. Es gab unglaublich viele gute Konzerte. Wo soll man da anfangen? Natürlich Paul Kuhn oder Don Menza und dann immer wieder Dusko Goykovich. Er kam ja aus Serbien. Während des Balkan-Krieges kam er mal auf mich zu und sagte: „Weißt Du, wir haben zu Hause gerade wieder eine Bombenstimmung“. Aber im Allgemeinen hatte man nicht so oft Gelegenheit zu persönlichen Kontakten. In Esslingen war das immer so: Die Musiker kamen, es gab einen kurzen Soundcheck, danach gingen sie essen, da war ich dann auch ein paar Mal dabei, dann haben sie ihr Konzert abgeliefert und im Anschluss sind sie so schnell wie möglich ins Hotel bzw. nach Hause gefahren. Im Ausland war das anders, da hatte ich häufig die Gelegenheit, mich länger mit Musikern zu unterhalten.
Wo war das?
Das war zum Beispiel beim Festival in Vienne. Da hatte ich ein wunderbares Gespräch mit Hank Jones. Mit Charles Lloyd politisierte ich über Europa, Amerika, die UNO, die NATO. Es war unglaublich. Ein weiteres schönes Erlebnis hatte ich während des Urlaubs in Italien. Zufälligerweise wohnte ich mit meiner Frau im gleichen Hotel wie die Musiker, die gerade beim Jazz-Festival in Perugia aufgetreten waren. Und so traf ich dort George Benson, der sich allerdings als etwas unnahbare Diva entpuppte. Gerne hätte ich im Freien ein paar Fotos von ihm gemacht. Das wollte er aber nicht, was ich natürlich respektiert habe. Al Jarreau dagegen war sehr offen. Als ich mich vorstellte und von Esslingen berichtete, erinnerte er sich sofort an sein Konzert auf der Burg und an die vielen Treppen, die er hochsteigen musste. Auch mit Ray Anderson, meinem Lieblingsposaunisten, hatte ich ein sehr langes Gespräch, das weit über das Thema Jazz hinausging. Er musste seine Karriere ja wegen einer halbseitigen Gesichtslähmung für lange Zeit unterbrechen, spielt jetzt aber wieder. Kürzlich hatte er sogar einen Auftritt in der Dieselstraße.
Du hast gerade Vienne erwähnt. Bei diesem Jazzfestival hattest du ja eine besondere Funktion.
Esslingen ist ja mit einer Reihe von Städten freundschaftlich verbunden, unter anderem mit Schiedam (Niederlande), Udine (Ialien) und Neath Port Talbot (Wales), aber die älteste Städtepartnerschaft ist die mit Vienne. Dort gibt es eines der weltweit berühmtesten Jazzfestivals überhaupt. Da wird 14 Tage lang das Beste vom Besten geliefert. Einer der Verantwortlichen der Stadt, Patrick Courtauld, ein ausgewiesener Jazzfan, unterbreitete in den 1990er Jahren Dr. Kastner, unserem Kulturreferenten, die Idee, man könnte doch Jazzgruppen aus allen Partnerstädten zu Konzerten nach Vienne einladen und einen Preis ausschreiben. In der Jury sollte jeweils ein Verteter dieser Städte sitzen. Aus Esslingen war das zunächst Jochen Volle. Ende der 90er Jahre bat er mich, seine Rolle zu übernehmen, da er es zeitlich nicht mehr mit seiner Funktion als Leiter der Esslinger Musikschule vereinbaren konnte. Die Combos aus den Partnerstädten spielten zwar nicht auf der großen Festivalbühne, sondern in Clubs und anderen kleinen Spielstätten. Aber das Preisgeld für den Sieger belief sich dennoch auf sage und schreibe 10.000 Dollar!
Das war aber kein einmaliges Ereignis?
Nein. Ich hatte dreimal die Ehre dabei zu sein. Zudem hatte ich die Möglichkeit, die Konzerte auf der großen Bühne zu besuchen und die Atmosphäre in diesem wunderschönen römischen Amphitheater bei schönstem Wetter zu genießen. Und einen Artikel für die Esslinger Zeitung gab es natürlich auch immer. Leider Gottes konnte die Stadt Vienne die hohen Kosten für diesen Wettbewerb bald nicht mehr aufbringen. Und da die anderen Partnerstädte sich auch nicht in größerem Umfang an der Finanzierung beteiligen wollten, sind diese wunderbaren interkulturellen Begegnungen eben gestorben.
Und wie sieht es mit deiner Jazzbegeisterung heute aus? Ist sie geblieben?
Natürlich. Manchmal ist es meiner Frau zu laut. Dann geht sie lieber einkaufen….aber nein, glücklicherweise ist sie im Laufe der Jahre ebenfalls zu einem wirklichen Jazzfan geworden. Vor einiger Zeit hatten wir zum Beispiel ein unvergessliches Konzert mit Dee Dee Bridgewater in Stuttgart.
Das heißt also, du gehst weiterhin zu Jazzkonzerten.
Ich gehe weiterhin zu Konzerten. Heute ist übrigens das erste Konzert der Halbjahres-Saison im Jazzkeller. Mal sehen, ob ich noch die Kurve kriege.

Wie siehst du die aktuelle Esslinger Jazzszene?
Vieles hängt natürlich von einzelnen Personen ab. Und da muss ich einfach den Hut ziehen vor der Arbeit von Claudia Leutner und Barbara Antonin, die mit ihrer Begeisterung für den Jazz den Keller mit großem Erfolg führen. Dafür haben sie meinen größten Respekt. Das gilt auch für Manfred Müller in der Dieselstraße, der sich allerdings zurückziehen will, wie ich gehört habe. Es ist für viele natürlich auch eine Altersfrage. Glücklicherweise gab es ja nie eine Rivalität zwischen Dieselstraße und Jazzkeller. Man hat immer gut zusammengearbeitet. Ich erinnere mich an ein geplantes Konzert mit Arturo Sandoval. Es war klar, dass der Jazzkeller zu klein sein würde. Und so hat sich die Dieselstraße bereiterklärt, die Veranstaltung im Namen des Jazzkellers in ihren neuen, größeren Räumlichkeiten durchzuführen.

Mit Arturo Sandoval hatten wir, noch zu Zeiten von Günter Graf, ein besonderes Erlebnis. Seine Agentin bat uns, ihn von Villingen abzuholen und auch wieder zurückzubringen, weil er gerne im Mercedes gefahren werden wollte. Ich habe ihn im letzten Jahr noch einmal beim Jazzfestival in Stuttgart erlebt. Unglaublich, der Mann. Er spielt eine Musik, die ich sehr, sehr schätze, mir gefallen einfach diese kubanischen, karibischen Rhythmen. Und Humor hat er auch. Wir hatten damals im Auto großen Spaß, und er hatte dazu auch noch großen Hunger.

Was hättest du abschließend für einen Wunsch, was die Jazzszene in Esslingen angeht?
In erster Linie, dass es so weitergeht. Dass der Jazzkeller jetzt, nach dem Tod von Eugen Hutter, weiter bestehen kann, zuverlässig unterstützt durch großzügige Sponsoren. Und dass die beiden Damen – wie auch der stets im Hintergrund agierende Jazzexperte und Fotograf Wilfried Martin – noch lange weitermachen. Sie schaffen es ja immer wieder, großartige Musiker nach Esslingen zu bringen, denen es so gut gefällt, dass sie gerne wieder kommen und teilweise sogar für eine geringere Gage bereit sind zu spielen. Esslingen hat erfreulicherweise eine gute Reputation in Musikerkreisen! Wenn das so bleibt, mache ich mir keine Sorgen um die Zukunft. Das ist Jazz!
Teil 1 des Interview: Die Begeisterung für Jazz wird geweckt
Teil 2 des Interview: Ein Club wird gegründet
