Emil Mangelsdorff-Story

Emil Mangelsdorff: Einer der bedeutendsten deutschen Jazzmusiker und Saxophonisten des 20. Jahrhunderts
Vorbemerkungen: Emil Mangelsdorff war einer der bedeutendsten deutschen Jazzmusiker und Saxophonisten des 20. Jahrhunderts. Geboren am 11. April 1925 in Frankfurt am Main, prägte er die deutsche Jazzszene maßgeblich durch seine innovative Spielweise und sein Engagement für den Jazz als Kunstform. Als Jazz-Pionier trug Mangelsdorff dazu bei, den Jazz in Deutschland zu etablieren und weiterzuentwickeln, und war sowohl als Solokünstler als auch als Mitglied verschiedener Ensembles u.a. dem „Jazz-Ensemble des Hessischen Rundfunks“ aktiv. Seine musikalische Vielseitigkeit, sein technisches Können und seine kreative Herangehensweise machten ihn zu einer Schlüsselfigur in der deutschen Jazzgeschichte. Neben seiner Tätigkeit als Musiker war Emil Mangelsdorff auch ein anerkannter Pädagoge, der Generationen von Musikern ausbildete und beeinflusste.
Die Jugend von Emil Mangelsdorff und erste Bands
Emil Mangelsdorff wuchs in den schweren Nachkriegsjahren des Ersten Weltkriegs in einer sozialdemokratisch geprägten Familie auf. Drei Jahre nach seiner Geburt kam sein Bruder Albert zur Welt, der später als Jazz-Posaunist internationale Berühmtheit erlangen sollte. Musik war fest in der Familientradition verankert. Emil erlernte zunächst das Akkordeonspielen und studierte in den 1940er Jahren am Konservatorium in Frankfurt Klarinette, Flöte sowie Schlagzeug.
Im Frühjahr 1939 wurde in Frankfurt der „Harlem Club“ gegründet, dessen Mitglieder – darunter Emil Mangelsdorff – dem Swing frönten. Den Nationalsozialisten standen die Club-Mitglieder kritisch gegenüber. In dieser lockeren Vereinigung wurde amerikanischer Swing gespielt, eine Musikrichtung, die bei den Nationalsozialisten verpönt war. Bei Tanzabenden und Jugendtreffen wurde diese Musik aufgeführt und getanzt; man versuchte, den amerikanisch-englischen Lebensstil zu kopieren, um einen Gegenpol zur Hitlerjugend zu schaffen. Bei den Zusammentreffen der oppositionellen Jugendlichen waren oftmals Polizisten und Gestapo-Spitzel anwesend. Dies führte unweigerlich zu Konflikten. Emil wurde in den vierziger Jahren mehrfach polizeilich vorgeladen und verwarnt. Bei Verhören wurde ihm demonstrativ die längere Haartracht abgeschnitten – ein deutliches Zeichen der Repression. Schließlich wurde ein Exempel statuiert: 1943 wurde er zum Arbeitsdienst eingezogen und kurz darauf an die Ostfront geschickt. Die Begleitpapiere des Marschbefehls enthielten ein Schreiben, das seine „politische Unzuverlässigkeit” attestierte. Erst 1949 kehrte er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.

Zunächst Dixieland- und Swing-Formationen
Anfang der fünfziger Jahre begann der Musiker zunächst mit Dixieland- und Swing-Formationen. Doch mittlerweile schwappte der Bebop aus Amerika auch nach Frankfurt über. Er wechselte von der Klarinette zum Saxophon. Seine Fähigkeiten stellte er bei der Combo von Joe Klimm (1952–1953) sowie im Quintett der deutschen Pianistin und Bebop-Pionierin Jutta Hipp (1953–1955) unter Beweis. In der Besetzung Jutta Hipp, Emil Mangelsdorff, Joki Freund, Hans Kresse und Karl Sanner trat die Band auf dem ersten Deutschen Jazzfestival 1953 auf und produzierte das Album „New Faces – New Sounds from Germany“ für das amerikanische Label „Blue Note“. Interessant auch die Meinung von Emil zum gespielten Jazz bei Jutta Hipp. „Nach den Cool-Konzerten mit Jutta bin ich immer wieder mit der Klarinette zu den „Two Beat Stompers“ gegangen, weil ich nicht leben wollte, ohne Hot Jazz zu spielen“.
Bereits 1957 wurde der Saxophonist mit der Gruppe „Frankfurt All Stars“ zum Jazzfestival im polnischen Zoppot eingeladen – als erste deutsche Jazzband nach dem Zweiten Weltkrieg. Emil erinnert sich begeistert an die herzlichen Kontakte zwischen den unterschiedlichen, internationalen Künstlern, obwohl damals der „Kalte Krieg“ herrschte. Auf YouTube findet man eine Dixieland-Version eines Live-Festival-Titels der „Frankfurt All Stars“ „After You’ve Gone” von Turner Layton. Parallel dazu war Emil auch Mitglied des Joki Freund-Sextett, dem neben dem Namensgeber der Band auch Emils Bruder Albert, Hans Koller, Heinz Sauer, Peter Trunk sowie der amerikanische Schlagzeuger Lex Humphries angehörten. Die Kompositionen dieser Gruppe wurde teilweise von Joki Freund geschrieben, der bei Joe Klimm und Jutta Hipp mit Emil in deren Bands tätig gewesen war. Der Tenor-Saxophonist Joki stand im Rufe ein begnadeter Komponist und Arrangeur für Cool Jazz und diverse Varianten zu sein.
1958 ging Emil und Albert Mangelsdorff unter der Regie von Fritz Rau mit einer Gruppe „Frankfurt All Star Band“ auf Tournee. Der Titel der Gastspielreise war der Slogan „History of Jazz“. In der ersten Hälfte spielten die Musiker als „Two Beat Stompers“ Dixieland. Die zweite Hälfte brachte die Spielarten des damaligen, zeitgenössischem Jazz. Wie Chronisten berichten war Emil über die Vielfalt des Repertoires angetan. Sein Bruder Albert stand der ersten Hälfte des Konzertes skeptisch gegenüber.

Der Jazz in Frankfurt in den fünfziger/sechziger Jahren – Deutscher Jazz schwimmt sich frei
Emil trat sehr häufig im Frankfurter Jazzkeller auf, der den Jazzmusikern als Stammkneipe, Vereinsheim und Trainingslager diente. In einem 1978 gedrehten Dokumentarfilm von dem Jazzgitarristen Volker Kriegel wird dies erwähnt. Bereits in den 1950er Jahren begann der Kult um den „Keller“ in Frankfurt, der 1951 von dem Trompeter und Veranstalter Carlo Bohländer gegründet wurde. Hier traten Old-Time-Jazzer neben Swing-Größen sowie den jungen Wilden des Bebop, Cool Jazz und Hard Bop auf. Augenzeugen berichten, dass die verschiedenen Jazzfraktionen keinerlei Berührungsängste zeigten: Dixieland-Musiker spielten in Swing- und Modern-Jazz-Bands mit und umgekehrt.
Leider wandelte sich dieses harmonische Miteinander in den 1960er und 1970er Jahren teilweise in feindselige Ablehnung. Ein bekannter Spruch des Modern-Jazz-Gitarristen Volker Kriegel kursiert noch heute in der Jazz-Community: „Der Oldtime-Jazz, gespielt von jungen Interpreten in Europa, ist vor allem zur Steigerung des Bierkonsums geeignet.“
Das „Deutsche Jazzfestival Frankfurt“ wurde 1953 auf Initiative von Horst Lippmann gegründet. Emil Mangelsdorff war bereits seit den 1940er Jahren mit Lippmann bekannt und spielte seit dieser Zeit mit ihm zusammen. Die „German All Stars“, die seit den 1950er Jahren in wechselnden Besetzungen auftraten, wurden 1958 unter Mithilfe von Lippmann und Hessischen Rundfunks zum „Jazzensemble des Hessischen Rundfunks“ umgestaltet. Musikalischer Leiter war Albert Mangelsdorff. Zum Ensemble gehörten neben ihm u.a. Emil Mangelsdorff, Hans Koller, Horst Jankowski und Attila Zoller.
Arrangements und Kompositionen stammten von Joki Freund. Ein Kritiker beschrieb die kontinuierliche Arbeit dieser Gruppe im Radio-Studio folgendermaßen: „In der Stille des Rundfunk-Studios hat das Ensemble eine ganze Enzyklopädie improvisierter Musik geschaffen. Mittlerweile liegt ein Schatz auf Halde, der monatlich um neun neue Glanzstücke wächst.“ Zunächst lud diese Formation prominente Gäste aus aller Welt zu ihren Aufnahmeterminen ein – insbesondere aus den Vereinigten Staaten. Die Gästeliste liest sich wie ein „Who is Who“ der internationalen Jazzstars.

Emil Mangelsdorff – Eine Jazzkarriere bis 2022
In den siebziger Jahren zog sich Emil Mangelsdorff nach dem Tod seiner Frau Sabine, einer klassischen Opernsängerin, einige Jahre aus der Jazz-Szene zurück. Erst 1974 kehrte er mit einem neuen Quartett in die Öffentlichkeit zurück. Im Laufe der Jahre trat er häufig mit dem Veranstalter und Freund Fritz Rau in sogenannten Gesprächskonzerten auf, die beispielsweise in Schulen stattfanden. Dabei schilderten beide ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit den Nazis und dem Zweiten Weltkrieg unter dem Motto „Es darf nicht wieder passieren“.
Emil Mangelsdorff war stets experimentierfreudig, was sich unter anderem in einer Musikreihe „Jazz und Lyrik“ zeigte. Zudem engagierte er sich auch im jazzpädagogischen Bereich: Von 1960 bis 1966 leitete er gemeinsam mit Carlo Bohländer eine Jazzklasse an der Frankfurter Jugendmusikschule und verfasste eine „Anleitung zur Improvisation für Saxophon in B“. Sein Hauptinstrument war das Altsaxophon, aber er spielte auch Flöte sowie Sopransaxophon.
Mangelsdorff war im Bereich des Jazz zwischen 1952 und 2007 an über 100 Aufnahmesessions beteiligt. Seit 1995 führte er im Frankfurter Holzhausenschlösschen eine eigene Konzertreihe durch. Eine seiner besten CDs „Stolen Moments“ präsentierte er erstmals 2014 mit seinem damaligen Quartet dort. Sein letzter Auftritt fand dort am 1. November 2021 statt – nach insgesamt 212 Auftritten in dieser Location.
Für den Dokumentar-Film „Blues March“, 2009 produziert vom Frankfurter Regisseur Malte Rauch, komponierte Emil Mangelsdorff die Filmmusik.
Hoch geehrt durch zahlreiche Auszeichnungen verstarb Emil Mangelsdorff am 21. Januar 2022 im Alter von 96 Jahren.
Quellen:
In Erinnerung an den Jazzmusiker und Zeitzeugen Emil Mangelsdorff (Gespräch mit Daniella Baumeister im HR 2) Link: https://www.youtube.com/watch?v=HPRwFrHavv8
Film von Volker Kriegel: 25 Jahre Jazzkeller Frankfurt 1978 Link: https://www.youtube.com/watch?v=ZTeTaBtygdw
Sascha Lange: Meuten, Swings & Edelweiss-Piraten – Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus. Ventil Verlag 2. Auflage 2018
Wolfgang Sandner (Hrsg.:) Jazz in Frankfurt, Societäts-Verlag 1990
Michael H. Kater: Gewagtes Spiel – Jazz im Nationalsozialismus. Kiepenheuer & Witsch 1995
Wikipedia-Artikel zu Emil Mangelsdorff
Persönliche Playlist zu Emil Mangelsdorff
Der Autor hat für Radio 700 in der Sendung „Jazzcocktail“ gemeinsam mit Uwe Lorenz als Moderator und Producer eine ca. 45-minütige Playlist zu Emil Mangelsdorff entwickelt. Hier meine Titel-Favoriten mit Nennung der entsprechenden Quelle.
Nr Titel Interpreten
01 Harlem Emil Mangelsdorff mit den „Swinging Oildrops“ 1966 Komposition: Benny Moten, bei Youtube verfügbar
02 Frankfurt Bridges Jutta Hipp Quintet (1954) auf der CD „Cool Dogs and two Oranges”, Komp.: Joe Klimm, bei Youtube verfügbar
03 Cave 54 Joki Freund Sextett (1957), CD „Early Discoveries“ Mangelsdorff & Mangelsdorf“, Komp.: Joki Freund
04 Gerti German All Stars (1963), CD wie Titel 03, Komp.: Joki Freund
05 After you’ve gone German All Stars auf dem Jazzfestival in Polen, Live-Version bei Youtube, Komp.: Turner Layton
06 Blues for Joe German All Stars (1956) CD „Early Discoveries Mangelsdorff & Mangelsdorff“, Komp.: Albert Mangelsdorff
07 Crazy Rhythm Emil Mangelsdorff mit den “Swinging Oildrops” 1966, Komp.: Roger Wolfe Kahn/Joseph Meyer
08 Fried Bananas Emil Mangelsdorff Quartet & Friends 2014 auf der CD „Stolen Moments“, Komp.: Dexter Gordon
09 All the things you are Emil Mangelsdorff Quartett auf der CD “Blues Forever” 2007 , Komp.: Jerome Kern
10 Blues Forever Emil Mangelsdorff Quartett CD wie Titel 09, Komp.: Emil Mangelsdorff
11 Bossa Alicanta Emil Mangelsdorff CD „ This Side up” 1992, Komp.: Thilo Wagner
Klaus Huckert
