30 Jahre Wiedereröffnung das Jazzkellers Esslingen (2/3)

Teil 2: Ein Club wird gegründet
Fortsetzung des Interviews mit Udo Klinner
1957 kam es dann zur Gründung eures Clubs. Und meines Wissens warst du da auch schon dabei.
Ja, das ist richtig. Wir waren circa 10 Personen, die die Absicht hatten, einen Club zu gründen. Und ich bin, so viel ich weiß, einer der letzten drei Überlebenden von denen, die das in die Wege leiteten. Im Oktober 1957 haben wir uns zusammengesetzt, die Satzung erarbeitet, um sie dann bei den entsprechenden Behörden einzureichen.
Kannst du dich noch an die Namen der Gründungsmitglieder erinnern?
Ja, das waren die beiden späteren Vorstands-Chefs Walter Schäfer (Präsident!) und sein Stellvertreter Günther Graf. Helmut Bohnenstengel kümmerte sich um die Engagements der Musiker und die Verträge. Ich übernahm die Rolle des Schriftführers und kümmerte mich um die Öffentlichkeitsarbeit, um die Benachrichtigung der Mitglieder, um die Aufnahme neuer Mitglieder und auch um unser Archiv. Nach Neuwahlen wurden die Aufgaben immer wieder neu verteilt.
Was war das Ziel eures Vereins?
Wir wollten uns regelmäßig einmal in der Woche treffen, immer freitags. Dann stellten wir unsere neu erworbenen Schallplatten vor. Bald wurde aus diesen eine Platte der Woche oder des Monats ausgewählt, die sogenannte Inselplatte, so etwa wie heute das Tor des Monats. Und natürlich sollten diejenigen, die ein Instrument spielten, die Möglichkeit bekommen, regelmäßig zu musizieren. Das war aber erst möglich, nachdem wir im Jazzkeller unser Zuhause bekommen hatten. Zunächst trafen wir uns immer im Amerika-Haus in der Mühlberger Straße. Später wurde das Heppächer Haus [in dem nach der Zerstörung der Synagoge 1938 von 1949 bis 1986 das Jugendhaus Mitte untergebracht war] unser Refugium. Dass wir uns da immer, wenn es der Belegungsplan zuließ, treffen konnten, verdankten wir dem Leiter des Kreisjugendrings, Herrn Otto Weinmann, der uns wirklich großzügig unterstützte.
Du sollst auch Referate zum Thema Jazz gehalten haben.
Irgendwann haben wir beschlossen, dass jeder von uns einmal über seinen Lieblingsmusiker berichtet, über dessen musikalischen Stil oder auch über die Geschichte und stilistische Entwicklung des Jazz. So hat man sich, ich will mal sagen, theoretisch ausgetauscht. Das möchte ich vielleicht nicht als Vortrag bezeichnen, das wäre zu viel gesagt, eher als Beitrag zur Gestaltung des Clublebens.
In der Chronik des Esslinger Jazzkellers wird erwähnt, dass auch Herbert Lindenberger, anerkannter Jazzkritiker der Stuttgarter Zeitung, und Dieter Zimmerle, Jazzredakteur und Moderator des SDR und Herausgeber des Jazzpodiums, des führenden deutschen Fachmagazins für Jazz, zu Gast waren.
Richtig, wir hatten das Glück, Herbert Lindenberger sogar zweimal für uns zu gewinnen. Seinen ersten Vortrag hielt er noch im besagten Amerikahaus, den zweiten schon in unserem neuen Zuhause, dem Jazzkeller. Auch später war er immer wieder ein gern gesehener Gast bei unseren Konzerten. Dieter Zimmerle dagegen hat sich ein bisschen rar gemacht. Die Stuttgarter haben dem ganzen Esslinger Treiben nicht so richtig getraut. Da passierte vielleicht noch zu wenig. Bevor sich der Jazz-Papst nach Esslingen begab, brauchte es schon seine Zeit. Aber als wir später die Übertragungswagen vom Süddeutschen Rundfunk vor der Tür stehen hatten, kam er dann. Das war dann schon eine Nummer größer, und siehe da, dann tauchte auch mal ein Dieter Zimmerle auf und erteilte seinen Segen.
Wie kam es denn zur Verbindung zwischen dem Bäckermeister Hutter und den jungen Jazzern?
Das hatten wir dem Kai Buck Trio mit Alfred Borst und Norbert Holl zu verdanken, die in dem Keller ihre erste Übungsstätte gefunden hatten. Und natürlich dem Bäckermeister Gustav Hutter, dem Papa des jetzt auch schon verstorbenen Eugen Hutter. Gustav Hutter war ein wunderbarer Mensch, ich sehe ihn noch vor mir, klein gewachsen, aber voller Elan, und vor allem ein richtiger Jazzer. Er war in seinen jungen Jahren mal in den USA gewesen und hatte von da diese Leidenschaft mitgebracht. So lag es für ihn nahe, den jungen Jazzmusikern den Keller als Übungsraum zur Verfügung zu stellen. Das war praktisch die erste Stufe auf dem Weg zum späteren Jazzkeller. Wenn man den heutigen Jazzkeller vor Augen hat, kann man sich gar nicht vorstellen, wie es damals dort aussah. Man brauchte quasi alpinistisches Können, um über die steilen Stufen runter und rauf zu kommen. Den modrigen Geruch, der einen empfing, bekam man lange nicht aus der Nase. Aber dieser Keller sollte nun bald unser Zuhause werden. Und das Buck Trio wurde so was wie unsere Hausband, die immer bereit war kurzfristig einzuspringen, wenn es nötig war.

Wie reagierten eigentlich die Eltern der jungen Jazzenthusiasten auf das Hobby ihrer Söhne?
Oh, da bin ich jetzt fast ein bisschen überfragt, denn ich kann mich eigentlich nicht erinnern, dass es da mal Probleme gab. An eine Begebenheit erinnere ich mich aber: Helmut Bohnenstengels Vater war Polizist, und dass er ein strenger Polizist war, wussten wir, weil wir ihm nämlich manchen Strafzettel zu verdanken hatten. Dass er aber durchaus offene Ohren für unser Anliegen hatte, erfuhren wir, als er uns einmal bei einem kniffligen Problem mit den Behörden viel Glück wünschte und uns, wenn nötig, zu helfen versprach.
Der Jazzkeller war also kein Zankapfel in der Esslinger Bevölkerung?
Nein, das kann ich nicht sagen, wir hatten wirklich keine Schwierigkeiten. Auch dass es nach einigen Jahren zum zwischenzeitlichen Aus des Jazzkellers kam, lag ja vor allem an den baulichen Auflagen, die nicht so einfach zu erfüllen waren, nicht aber an Vorurteilen oder gar moralischen Bedenken der Bevölkerung.
Wie setzte sich denn das Publikum zusammen, das in den Jazzkeller kam?
Ja, das ist wirklich interessant. Denn so langsam sprach sich herum, dass sich da was in Esslingen tut. Auch die Stuttgarter wurden immer neugieriger, kamen vermehrt in den Jazzkeller, weil sie da erstaunlicherweise ihre eigenen Leute, Wolfgang Dauner & Co., hören konnten. Es kamen sogar Jazzfans aus Reutlingen und Tübingen, obwohl es da ja schon recht renommierte Jazzclubs gab. Und zu unserer großen Überraschung kamen auch jugendliche Besucher aus Ulm, die den weiten Weg nach Esslingen auf sich nahmen, um „ihre Musik“ zu hören. Und dann gab es auch Gegenbesuche von unserer Seite, so dass es bald zu einem lebhaften Austausch kam.

War es von Anfang an so, dass im Jazzkeller Modern Jazz gespielt wurde?
Nein! Eine sehr gute Frage. Natürlich fingen wir ganz am Anfang mit Old Time Jazz an, mit klassischem Dixie, wie man ihn so kennt. Es sollte ein Türöffner sein, wir wollten die Leute an unsere Musik heranführen. Darum haben wir auch Bälle organisiert, zum Beispiel im Alten Rathaus oder im schon erwähnten Kugelsaal. Aber das hat sich sehr bald geändert. Esslingen hatte in kürzester Zeit den Ruf, modernen, vielleicht sogar avantgardistisch zu nennenden Jazz zu bieten. So spielte etwa das Wolfgang Dauner Trio mit Eberhard Weber und Fred Braceful schon früh im Keller. Hier begann also, wenn man so sagen darf, die Karriere des in Esslingen aufgewachsenen und später richtungsweisenden und weltberühmt gewordenen Bassisten Eberhard Weber.
Und dann war plötzlich Schluss, der Jazzkeller musste schließen.
Es gab noch so eine Interimslösung, bevor ganz Schluss war. Verantwortlich für die Programmgestaltung war der hochverehrte Hans Haug, der den Club übernommen hatte und der Meinung war, dass man mit einem reinen Jazzprogramm finanziell nicht mehr über die Runden komme. Er wollte das Angebot breiter streuen. Und dann traten Künstler wie der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch, der Liedermacher Reinhard Mey oder auch die britische Heavy-Metal-Band Black Sabbath im Jazzkeller auf. Also alles große Namen, aber mit Jazz hatte das nichts mehr zu tun. Das führte dazu, dass viele der angestammten Mitglieder nicht mehr mitmachen wollten, zu denen leider – wie ich heute sagen muss – auch ich gehörte. Aber Hans Haug war mit diesem Konzept durchaus erfolgreich bis zu dem Moment, in dem der Keller aus baulichen Gründen tatsächlich schließen musste.
Und jetzt waren die Jazzer heimatlos?
Ja, jetzt waren wir heimatlos. Aber natürlich suchten wir Alternativlösungen. Da gab es die damalige Szenekneipe Alpenrösle oder das Haus in der Landolinsgasse 8, in dem heute der Club Tsingtau residiert. Aber diese Nebenstätten blieben alle erfolglos.
Ich selbst war in der Zeit für ein halbes Jahr in den USA, danach beruflich sehr engagiert, sodass ich nach und nach den Kontakt zur Jazzszene verloren habe. Ich weiß aber soviel, dass etliche der alten Esslinger Jazzer versucht haben, ihr Baby wiederzubeleben. Zu Beginn der 1990er Jahre war es dann Dr. Peter Kastner, der als Kulturreferent der Stadt alle Hebel in Bewegung setzte, dem Jazz wieder Gehör zu verschaffen, auch wenn er zunächst bei der Führungsspitze der Stadt, um es freundlich zu formulieren, auf wenig Resonanz stieß. Doch durch seine Hartnäckigkeit konnte er schließlich die zuständigen Gremien von der Idee einer Wiedereröffnung des Jazzkellers überzeugen.
Das wurde dann natürlich ein finanzieller Kraftakt. Die Kosten für den Umbau sollten bei circa 50.000 DM liegen, von denen die Stadt 20.000 DM übernehmen wollte. Der Keller musste von Grund auf erneuert werden. Eigentlich darf man das gar nicht laut sagen, aber in den ersten Jahren hatten wir nicht einmal richtige Toiletten. Es ist letztlich dem späteren Hausbesitzer, dem guten Eugen Hutter, zu verdanken, dass alles ein gutes Ende nahm. Er war wirklich sehr großzügig und hat die notwendigen handwerklichen Leistungen aus eigener Tasche finanziert. Aber es brauchte natürlich seine Zeit, bis sich die Türen zum Jazzkeller 1995 schließlich wieder öffneten.
Teil 1 des Interview: Die Begeisterung für Jazz wird geweckt
Teil 3 des Interview: Der Jazzkeller wird wieder eröffnet
